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Die Frau im gepunkteten Kleid

Die Frau im gepunkteten Kleid

Titel: Die Frau im gepunkteten Kleid
Autoren: Beryl Bainbridge
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Pferdeschwanz. Sie nannte ihn einen Scheißkerl. Rose fühlte sich wie zu Hause. Der Mann mit dem zurückgebundenen Haar umarmte Harold ungestüm.
    Mrs Shaefer führte Rose in ein Schlafzimmer und bat sie, den Regenmantel aufs Bett zu werfen. Rose widersprach, er sei nass. Mrs Shaefer fand, das sei völlig egal. »Seit wann sind Sie hier?«, fragte sie. »Haben Sie schon etwas von der Stadt gesehen?«
    Rose erzählte, Harold habe sie am Zaun des Weißen Hauses aussteigen lassen und ihr erklärt, dass
es im Kolonialstil erbaut sei. Die Magnolienbäume hätten ihr gut gefallen. Dann habe er sie zu den Executive Buildings geführt.
    »Er hat mir erzählt, dass Mr Truman sie für unzweckmäßig hielt und abreißen lassen wollte, aber Mr Kennedy hat es nicht zugelassen.«
    »Typisch Harold«, sagte Mrs Shaefer. »Immer gut für spannende Informationen.«
    In einem Raum von der Größe eines Hotelfoyers wurden Drinks serviert. Es gab drei Ledersofas, und grüne Glastüren öffneten sich auf einen Balkon. Rose bekam ein großes Glas mit etwas, das aussah wie Limonade. Es prickelte und war farblos bis auf ein Stückchen Zitrone, das ihr ständig im Weg herumschwamm. Es gab noch vier andere Gäste, eine Frau, einen Jungen und zwei Männer, Bud und Bob. Die Frau hieß Thora und trug weiße Bermudashorts. Mrs Shaefer wurde George genannt und ihr Mann Jesse. Der Junge sprach mit niemandem und verschwand, bevor das Essen serviert wurde. Washington Harold war mit den drei Männern zur Schule gegangen und hatte dann dieselbe Universität besucht wie Shaefer, der inzwischen Professor für Verfassungsrecht war und offenbar ziemlich oft zum Präsidenten gerufen wurde. Niemand erklärte, warum. Es wurde viel über Basketball gesprochen und über einen Trainer namens Curtis Parker.
    Mr Shaefer schien sehr wütend auf Lyndon Johnson zu sein. Der Mann sei wahnsinnig, er habe den
amerikanischen Traum in einen amerikanischen Albtraum verwandelt. Vier Tage bevor er verkündete, er werde die Nominierung für eine weitere Legislaturperiode nicht annehmen, hatte er erwogen, in Laos einzufallen, und noch einmal zweihunderttausend Soldaten nach Vietnam geschickt.
    »Total wahnsinnig«, pflichtete Harold ihm bei.
    Die Frau in den Bermudas gestand, dass sie früher furchtbare sexuelle Probleme mit Männern gehabt habe. »Aber dann hat mir Daddy einen Analytiker besorgt«, teilte sie der Runde vertraulich mit, »und jetzt bin ich in Ordnung.« Alle sprachen sehr laut, damit man sie über dem Autolärm von der Straße unten hören konnte.
    Rose nahm von alledem nichts auf. Die Fahrt heute Vormittag war eine wirre Folge von Überführungen, Unterführungen, Kreuzungen, Einmündungen und Schlagbäumen gewesen. Vorfahrt beachten, signalisierten die Schilder in Hellgelb. Mal gab es Wiesen mit Kühen, dann einen braunen, angeschwollenen Fluss, einmal eine Stadt mit Eisenbahnschienen mitten auf der Straße. Die Bäume, die zu beiden Seiten vor dem Highway zurückwichen, troffen vom Regen. Sie hatte nichts in ihrem Kopf behalten können. Sie war eine leere Schachtel, nur Staub unter dem Deckel. Sie war bestürzt, dass sie Dr. Wheeler nicht angetroffen hatte, obwohl es nicht überraschend kam. Tief drinnen hatte sie gewusst, dass er nicht da sein würde.

    »Ist es klug, nach Wanakena zu fahren?«, fragte Mrs Shaefer; sie sprach mit Harold. Das war der Ort, den Dr. Wheeler als Nachsendeadresse angegeben hatte.
    »Vermutlich nicht«, antwortete er. »Aber was soll ich sonst machen?«
    »Telefonieren«, schlug sie vor, aber er schüttelte den Kopf. Rose fand, dass er unter Freunden anders klang, weniger krittelig.
    Sie setzten sich zum Essen in ein von Bücherregalen umrahmtes Zimmer; auf einem Hocker neben der Heizung stand eine Eule unter einem Glassturz. Daneben befand sich ein Becher mit einem Füllfederhalter. Rose sagte Mrs Shaefer, dass hohe Temperaturen für ausgestopfte Tiere schädlich seien. Sie wisse das, weil ihr Vater ihr erzählt habe, seine Schwester Margaret sei depressiv geworden, nachdem ihr in Sprunghaltung präpariertes Lieblingstier, das vor dem Schrank mit dem Heißwasserboiler gestanden hatte, wegen Mottenfraß auseinandergefallen war.
    »Es war eine getigerte Katze namens Nigger«, sagte sie.
    Harold runzelte die Stirn. Mrs Shaefer lächelte; ihr Gesicht mit den dunklen Augen, der weißen Haut und den vollen Lippen schien zu leuchten.
    Rose verschlang alles, was auf dem Teller lag, selbst die matschigen Salatblätter. Vorher, als
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