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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon
Autoren: Richard Montanari
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    I N DER D UNKELHEIT , in den schwarzblauen Tiefen der Nacht, hört er ein Raunen: leise, klagende Töne, die hinter der Holzvertäfelung, dem Sims und den ausgetrockneten, wurmstichigen Holzlatten hin und her huschen, zitternd und scharrend. Zuerst versteht er die Wörter nicht, so, als würden sie in einer fremden Sprache gesprochen, doch als die Abenddämmerung dem Morgengrauen weicht, erkennt er jede Stimme, jeden Ton und jeden Klang – wie eine Mutter, die ihr Kind auf einem vollen Spielplatz sofort an der Stimme erkennt.
    In manchen Nächten hört er den Schrei, einen einzigen Schrei, der durch die Dielen nach oben schallt und ihn von Zimmer zu Zimmer verfolgt, die große Treppe hinunter und durch die Eingangshalle, durch die Küche und die Vorratskammer bis in die gesegnete Stille des Kellers. Dort, unter der Erde, unter den Gerippen Tausender Jahrhunderte begraben, akzeptiert er seine schrecklichen Sünden. Vielleicht ist es sogar die Feuchtigkeit, die anklagt – eisige Tropfen auf den Steinen, die wie Tränen auf Brokat schimmern.
    Als die Erinnerungen lebendig werden, denkt er an Elise Beausoleil, das Mädchen aus Chicago. Er erinnert sich an ihren Stolz, ihre geschickten Hände und daran, wie sie in den letzten Sekunden verhandelt hat, als wäre sie noch immer das hübscheste Mädchen auf dem Highschool-Ball. Elise Beausoleil in ihren hohen Stiefeln und dem Trenchcoat. Sie hatte gerne gelesen. Jane Austen sei ihre Lieblingsschriftstellerin, hatte sie gesagt, dicht gefolgt von Charlotte Brontë. In ihrer Handtasche fand er ein vergilbtes Exemplar von Villette.
    Er hielt Elise in der Bibliothek gefangen.
    Manchmal erinnert er sich an Monica Renzi, an ihre dicken Arme und Beine und an die Körperbehaarung, an den wohligen Schauer des Hochgefühls, als Elise nach dem Warum fragte und er überschwänglich die Hand hob wie eine ihrer spöttelnden Mitschülerinnen. Monica war die Tochter eines Ladenbesitzers aus Scranton und bevorzugte rote Kleidung. Schüchtern und jungfräulich. Monica hatte ihm einmal gesagt, er erinnere sie an einen jungen Banker in einem dieser alten Filme, die sie sich samstagabends mit ihrer Großmutter anschaute.
    Das Solarium war Monicas Zimmer.
    Er erinnert sich an den Nervenkitzel der Jagd, an den bitteren Kaffee, den er in Bahnhöfen und an Endhaltestellen von Bussen trank, und an die Hitze, den Lärm und Staub der Vergnügungsparks, an die Nationalfeiertage, die Jahrmärkte und die kalten Vormittage im Auto. Er erinnert sich an die Erregung auf den Fahrten durch die Stadt, die zarte Beute in Händen, als das verlockende Rätsel beginnt.
    In der winzigen Zeitspanne zwischen Licht und Schatten, im grauen Beichtstuhl der Morgendämmerung, erinnert er sich manchmal an alles.
    Jeden Morgen tritt im Haus Stille ein. Der Staub legt sich, die Schatten weichen, die Stimmen verhallen.
    An diesem Morgen duscht er, zieht sich an, frühstückt und geht durch die Eingangstür hinaus auf die Veranda. Die ersten Knospen sprießen, und die Narzissen am Gartenzaun begrüßen ihn. Ein Hauch von Frühling liegt in der Luft.
    Hinter ihm erhebt sich ein stattliches viktorianisches Haus, dessen Schönheit längst verblüht ist. Die Gärten rings um das Haus sind überwuchert, die Gehwege von Unkraut bewachsen, die grün angelaufenen Dachrinnen voller Schmutz und verrottetem Laub. Dieses Haus ist das Museum seines Lebens, zu einer Zeit erbaut, als solchen herrschaftlichen Häusern mit eigenem Charakter noch Namen gegeben wurden, die in das Bewusstsein der Gegend, in die Seele der Stadt und die Geschichte der Region eingingen.
    An diesem verrückten Ort, wo Mauern sich bewegen und Treppen ins Nirgendwo führen, wo man durch Wandschränke in verborgene Werkstätten gelangt und Porträts einander mit ernsten Mienen in der mittäglichen Stille beobachten, kennt er jeden Korridor, jede Türangel, jede Schwelle, jedes Fenster, jedes Ornament.
    Dieser Ort heißt Faerwood. In jedem dieser Räume wohnt eine rastlose Seele. Und in jeder Seele wohnt ein Geheimnis.
    Er steht inmitten eines belebten Einkaufszentrums und nimmt die unterschiedlichen Düfte wahr, die die Luft erfüllen: die Gastronomiemeile mit ihren unzähligen Schätzen; das Kaufhaus mit den Lotionen und Pudern und scheußlichen Toilettenartikeln; der Duft junger Frauen. Er beobachtet das übergewichtige Paar in den Zwanzigern, das einen Kinderwagen schiebt, und bedauert die unmerklich ältere Frau.
    Um zehn vor neun am Abend huscht er in ein
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