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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon
Autoren: Richard Montanari
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kleines Geschäft. Es ist hell erleuchtet, und die Luft ist noch immer heiß. Die Regale sind vom Boden bis zur Decke mit Keramikfiguren und Rosen aus Kunstseide voll gepackt. Eine ganze Wand wird von Ständern eingenommen, in denen Glückwunschkarten stecken.
    In dem Geschäft ist nur eine Kundin. Er ist ihr schon den ganzen Abend gefolgt, hat die Traurigkeit in ihren Augen gesehen, die Last auf ihren Schultern bemerkt und die Müdigkeit in ihren Schritten.
    Sie ist die Ertrinkende.
    Langsam nähert er sich ihr, wählt ein paar Karten aus, kichert leise, als er sie betrachtet, und stellt sie zurück in den Ständer. Er schaut sich um. Niemand beobachtet sie.
    Es ist Zeit.
    »Du siehst verwirrt aus«, sagt er.
    Sie hebt den Blick. Sie ist groß und dünn. Ihre Haut hat eine wunderschöne Blässe. Ihre aschblonde Haarpracht ist lässig hochgesteckt und wird von einer weißen Plastikspange gehalten. Ihr Hals ist wie aus Elfenbein geschnitzt. Sie trägt einen lila Rucksack.
    Sie antwortet nicht. Er hat sie eingeschüchtert.
    Geh weiter.
    »Die Auswahl ist einfach zu groß«, sagt sie nervös. Er hat damit gerechnet. Schließlich ist er ein Unbekannter auf ihrem Spielbrett fremder Figuren. Sie kichert und kaut an einem Fingernagel. Süß. Er schätzt sie auf siebzehn. Das beste Alter.
    »Sag mir, für welchen Anlass«, bittet er sie. »Vielleicht kann ich helfen.«
    Argwohn flackert in ihren Augen. Jetzt geht sie auf Distanz. Sie wirft einen Blick durch den Laden, um sich zu vergewissern, dass niemand zuhört. »Na ja, ich ...«, beginnt sie. »Mein Freund ist ...«
    Schweigen.
    »Er ist was?«, fragt er, um das Gespräch in Gang zu halten.
    Zuerst will sie es ihm nicht sagen, dann aber redet sie doch. »Er ist eigentlich gar nicht mein Freund. Er betrügt mich.« Sie steckt eine Haarsträhne hinters Ohr. »Na ja ... so richtig betrügt er mich nicht. Noch nicht.« Sie wendet sich zum Gehen, dreht sich dann aber wieder um. »Er hat sich mit Courtney verabredet, meiner besten Freundin. Diese Schlampe.« Ein roter Schimmer erscheint auf ihrem makellosen Teint. »Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle.«
    Heute Abend ist er leger gekleidet: verwaschene Jeans, schwarzes Leinenjackett, Mokassins, ein bisschen mehr Gel im Haar als sonst, eine silberne Halskette mit einem ägyptischen Schlaufenkreuz, dem Symbol des Lebens, eine schicke Brille. Er sieht noch ziemlich jung aus. Außerdem flößt er anderen Menschen Vertrauen ein. So war es schon immer.
    »So ein Schuft.«
    Das falsche Wort? Nein. Sie lächelt. Eine Siebzehnjährige, reif für ihr Alter.
    »Eher ein Idiot«, sagt sie und kichert nervös. »Ein Volltrottel.«
    Er beugt sich ein Stück zurück, vergrößert den Abstand zwischen ihnen um ein paar wichtige Zentimeter. Und schon entspannt sie sich. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass er keine Bedrohung darstellt.
    »Glaubst du, eine ironische Karte wäre das Richtige?«
    Sie denkt darüber nach. »Wahrscheinlich«, sagt sie. »Vielleicht. Ich weiß nicht. Ja, glaub schon.«
    »Bringt er dich zum Lachen?«
    Jungen, mit denen man sich anfreundet, tun das meistens. Sogar die, die ein bildschönes siebzehnjähriges Mädchen betrügen.
    »Ja«, sagt sie. »Er ist ziemlich lustig. Manchmal.« Sie hebt den Blick, schaut ihm in die Augen. Ihm zerspringt beinahe das Herz. »Aber in letzter Zeit nicht mehr.«
    »Ich finde die hier nicht schlecht«, sagt er. »Sie könnte genau das richtige Gefühl ausdrücken.« Er nimmt die Karte aus dem Ständer, betrachtet sie noch einmal kurz und reicht sie ihr dann. Die Karte ist ein bisschen gewagt. Durch sein Zögern will er ihrem Altersunterschied Rechnung tragen und ihr zu verstehen geben, dass er sich durchaus bewusst ist, ihr noch nie begegnet zu sein.
    Sie nimmt die Karte, klappt sie auf, liest den Text und muss lachen. Sie legt eine Hand auf den Mund. Nur ein leises Prusten ist jetzt noch zu hören. Sie errötet verlegen.
    In diesem Augenblick verschwimmt ihr Bild, wie er es jedes Mal erlebt. Ihr Gesicht zerfließt, als würde man es durch eine Fensterscheibe betrachten, über die Regen läuft.
    »Die ist perfekt«, sagt sie. »Super. Danke.«
    Er beobachtet sie, als sie zur nicht besetzten Ladenkasse und dann zur Videokamera schaut. Sie dreht der Kamera den Rücken zu, steckt die Karte in ihre Tasche und schaut ihn lächelnd an. Er kann sich keine reinere Liebe vorstellen.
    »Ich brauche noch eine andere Karte«, sagt sie. »Aber ich weiß nicht, ob Sie mir da
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