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Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Titel: Die Frau, die zu viel fühlte - Roman
Autoren: Charles Chadwick
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reizenden Töchter. Kommt nur nach mir, meine wunderbaren Wesen …«
    Jetzt fing er an, eine seiner endlosen Geschichten ohne wirkliche Pointe zu erzählen. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und seine Stimme klang leicht lallend. Ich in der gegenüberliegenden Ecke schlug ein Biggles-Buch auf und dachte: Ich bin erst zwölf, aber ich weiß, dass sie überhaupt nicht wunderbar sind, und er findet das auch.
    Er starrte zu mir herüber, als wüsste er, was ich denke. »Schaut euch den kleinen Rotzlöffel an, hängt rum wie ein Lumpensack, meint ihr nicht auch, meine Schönen? Ich würde sagen, altes Haus, pass auf, dass du dir nicht in die Hose machst, sei ein braver Junge. Und nicht einen Funken Humor im Leib.«
    Er verspottete mich vor allem, um sie aufzuheitern, und so grinste ich, und Mutter tat es mir gleich, als wollten wir ihm auf keinen Fall die gute Laune verderben. Wenn er sie anschrie, fragte ich mich, ob sie ihm einfach nicht schön genug war. Da sie sich damit abfand, mit allem, was sie nicht war, wehrte sie sich nie und überdauerte so seinen Zorn. Julie streckte mir die Zunge heraus. Hester hatte ihre Brille wieder auf und sah sehr überheblich aus.
    »Wer hat je davon gehört, dass Pferde Cricket spielen?«, sagte er zum witzfreien Abschluss. Es war immer noch alles in Ordnung, er wirkte geradezu überschwänglich. »Na, wenn das kein schöner Ausflug ist, was, altes Mädchen«, sagte er und warf Mutter einen Handkuss zu. Sie schloss die Augen, wie sie es oft tat, wenn sie etwas schmerzte und sie hoffte, dass es bald vergehen würde, oder wenn sie ein unerwartetes Glück empfand und sich wünschte, dass es nie vergehen möge.
    Wir stiegen aus dem Zug und spazierten zum Meer. Mutter ging mit den Mädchen voraus, sie trug den Picknickkorb.
    »Genau so wird’s gemacht«, sagte er. »Schlaues Kerlchen, dein Papadapadu, lässt den Feldwebel die Knochenarbeit machen.« Er legte mir die Hand in den Nacken. »Nach denen dreht sich niemand um, was, Sohnemann?«
    Und kurz sah ich sie mit seinen Augen: Julies Kleid, das ihr schief und zipfelig um die dürren Beine hing, Hester, die dahinwalzte, während ihre Zöpfe sich auflösten, und Mutter, deren Hintern arrhythmisch zu ihren Schritten schwabbelte. Sie hatte einen rosa Fleck auf der Schulter und einen Pickel im Nacken. Ihre Unvollkommenheiten ließen sie mich noch mehr lieben. Sie plauderten über eine Nachbarin, die drei räudige Katzen hatte. »Die stinken so«, sagte Hester. »Sie stinkt ebenfalls«, rief Julie. »Und sie sagt nie danke oder so was«, fügte Hester hinzu. »Ihr müsst euch bemühen, nett zu ihr zu sein«, sagte Mutter, »sie kann ja nichts dafür. Vielleicht ist sie einfach nur einsam und unglücklich.« »Miefige alte Stinkesocke«, sagte Julie.
    Wir hatten sie eingeholt, und Vater nahm seine Hand von meinem Nacken, um einen Schluck aus seinem Flachmann zu trinken.
    »Nun denn«, sagte er großspurig. »Sind wir bei den ewigen Wahrheiten, hm, oder geht’s um die Lage der Nation?« Er beugte sich vor und sagte hinter Mutters Ohr: »So ein blödes Gesabber, mein Gott, kannst du nicht mal …«
    »Wir sind kindisch, ich weiß«, flüsterte sie und fasste seinen Arm. »Sie freuen sich ja so auf ihre kleinen Ausflüge.«
    »Kuschelige-wuschelige Familiwilie«, sagte er und schnupperte die Luft, als wir auf den Pfad zur Klippe einbogen.
    Kaum sahen wir das Meer, rannten Hester, Julie und ich los und warfen Steinchen. Hester und ich schafften es, ein oder zwei über die Wasseroberfläche hüpfen zu lassen. Julie fing an zu weinen, weil es ihr nicht gelang. Ich suchte für sie ein paar besonders flache Kiesel, aber sie schaffte es einfach nicht. Ich schaute mich nach Mutter und Vater um. Der Wind wehte ihre Haare über seine Brust, und sie schaute zu ihm hoch und zog ihn an sich. In diesem Augenblick konnte man sich gut vorstellen, wie sie früher miteinander umgegangen waren. Aber sein von ihr umklammerter Arm hing seitlich herab, und er starrte mit zurückgelegtem Kopf auf das funkelnde Wasser hinaus, als würde er von Reisen in weit entfernte Länder träumen. Einen Augenblick dachte ich, er würde seine freie Hand an ihre Wange legen, aber er hielt nur sein Jackett fest, damit es ihm nicht von der Schulter rutschte. Ihr Verlobungsring mit dem Türkis funkelte in der Sonne. Auch Julie schaute sich zu ihnen um, und in ihren Augen war so viel Freude und Hoffnung.
    Mutter rief uns, und dann gingen sie uns voraus den Abhang wieder hoch.
    »Geht
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