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Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Die Frau, die zu viel fühlte - Roman

Titel: Die Frau, die zu viel fühlte - Roman
Autoren: Charles Chadwick
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Listen von Jungen- und Mädchennamen gekritzelt standen, die alle bis auf die letzten durchgestrichen waren. Zwischen ihnen hatte jemand ein Herz mit Pfeil gezeichnet und mit »fickt« überschrieben. Belladonna ist der korrekte Name der Pflanze, hatte unser Naturwissenschaftslehrer uns gesagt und dazu einen Witz über die fatale Anziehungskraft schöner Frauen gemacht. Ich pflückte eine Beere, wickelte sie in mein Taschentuch und kehrte mit einem Armvoll Geröll zurück. Wir verteilten die Brocken auf dem Deckenrand, aber der Wind hatte sich gelegt, und wir brauchten sie nicht mehr.
    Ich setzte mich neben die Sandwiches, und Julie bat um das letzte mit Schwarzer Johannisbeere.
    »Wenn du es auch nur anrührst, junge Dame, lasse ich mich von dir scheiden und gehe zu Sue«, sagte Vater, richtete sich auf den Knien auf, ließ die Backen wackeln und schnaubte wie ein Pferd. Mutter lächelte uns an, und Hester folgte ihrem Beispiel. Es hätte wieder alles in Ordnung sein können, aber Julie weigerte sich zu lächeln, selbst als er sein Schimpansengesicht machte und sich unter den Achseln kraulte. Ich hatte mein Taschentuch herausgeholt, die Beere lag darunter. Dann stand Vater auf und imitierte einen langhalsigen Vogel, er stieß den Kopf nach vorne und wackelte im Kreuz mit der Hand. Plötzlich hörte er auf und schaute auf die Mädchen hinunter, die einander anstarrten und ihr Zwinkerspiel spielten.
    Er zuckte die Achseln. »Lustiger Mann ein völliger Flop. Ich verstehe. Gott allein weiß, man hat es ja zumindest versucht. Ist bei euch doch alles Zeitverschwendung.«
    Er war verärgert, und Mutter umarmte die beiden, als wollte sie ein Lachen aus ihnen herauspressen. Es wirkte so trotzig von ihr. Ich steckte die Beere in das Sandwich und drückte die Scheiben zusammen, bis ich sie platzen hörte. Eine Sekunde lang wünschte ich mir, ich hätte es nicht getan, doch dann schaute Vater die Mädchen mit zusammengekniffenen Augen an und sagte mit solchem Abscheu in der Stimme: »Die hässlichen Schwestern bewerben sich für eine Peep-Show. Das reicht, um aus dem Butler einen Schwulen fürs Leben zu machen.«
    Jetzt sah ich sie wieder mit seinen Augen, ihre Röcke, die über den Knien Falten schlugen, die zerzausten Haare, die offenen Lippen feucht. Hesters Blick senkte sich auf ihre abgekauten Nägel, und mir fiel wieder ein, dass ich sie einmal vor dem Spiegel flüstern gehört hatte: »Lieber Gott, mach mich sexy und hinreißend.« Und ich hatte Mutter gesehen, wie sie an ihrem Toilettentisch saß, sich schminkte und dabei das Gesicht verzog, als wollte sie jemand anders sein. Einmal ertappte ich sie dabei, wie sie seitlich vor dem großen Spiegel im Bad stand, sich von oben bis unten musterte und ihre nackten Brüste hob.
    Vater starrte, die Hände an den Hüften, auf uns herab, warf dann den Kopf zurück und lachte. »Sagt nie, ich hätte euch nicht gewarnt«, sagte er und fing an zu singen: »Über sieben Brücken musst du gehen …«
    Er setzte sich und biss kräftig in das Sandwich. Hester und Julie aßen Eier mit offenen Mündern, sie kauten um die Wette.
    »Schau dir nur diese beiden an«, sagte Vater. »Die Schlampen-AG.« Und er äffte sie nach, stopfte sich den Rest des Sandwiches in den Mund und knurrte wie ein Hund.
    Ich wartete darauf, dass er sich an den Bauch fasste und mit einem entsetzlichen Röcheln zur Seite kippte.
    »Tut uns leid, Daddy, wir haben doch nur …«, sagte Hester.
    »Tut uns leid, Daddy«, wiederholte Julie.
    Und sie meinten es beide ernst, sie schluckten die Reste hinunter, streckten die Beine aus und strichen sich die Kleider über die Knie. Plötzlich war alles in Ordnung, eine sanfte Brise wehte, und der Himmel war etwas bewölkter, so dass die Sonne nicht mehr so heiß brannte. Vater trank noch einige Schlucke aus seinem Flachmann, und wir lagen auf der Decke und spielten lachend Schnippschnapp. Später gingen wir alle zum Meer hinunter, paddelten und warfen Steine, und dann spielten wir Crockett. Hester und Julie hingen förmlich an ihm, und Mutter versuchte linkisch mitzumachen. Sie hatten ein Lachen im Gesicht, wie ich es noch nie gesehen hatte, als wäre es die ganze Zeit schon so gewesen wie jetzt und würde immer so sein. Ich war froh, dass er sterben würde, während wir eine glückliche Familie waren und es nicht so bleiben konnte.
    Auf dem Rückweg zum Bahnhof sagte er, ihm sei schlecht. »Irgendwas in diesen Sandwiches. Warum müssen es eigentlich immer durchgeweichte,
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