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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Autoren: Claudia Seidert
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gebracht, bestehend aus Sozialisten, Liberalen und Katholiken. Damit belohnte Albert I. die Arbeiter für ihre Loyalität im Kampf gegen Deutschland und ordnete unversehens die politische Struktur in Belgien neu – was noch jahrelang von konservativen Belgiern kritisiert wurde.
    Die Wirtschaft erholte sich, ab Mitte der 1920er kam es zu einem bemerkenswerten Wachstum, 1928 gab es kaum mehr Arbeitslose. Die Unternehmen machten große Gewinne. Auch in Flandern kam es zu einer behutsamen Ausweitung der Industrie. Die »tollen Jahre« brachen an.
    Die deutsch-belgischen Beziehungen wurden einer Belastung ausgesetzt, als 1923 französische und belgische Truppen entsprechend der Regelungen des Versailler Vertrages das Rheinland besetzten.
    Frieden – wir, die wir im Frieden aufwuchsen und Krieg nur aus den Nachrichten kennen, können vermutlich kaum nachvollziehen, wie sich das anfühlte: Frieden. Diese Ruhe, diese Zuversicht auf die nun zu lebende Zukunft. Man hatte etwas nachzuholen. Auch Maria tritt selbstbewusst auf, ihre Bilder aus den Zwanzigern zeigen sie spielerisch, kokett, eine lächelnde, attraktive Frau, mit sich und der Welt zufrieden. Der Krieg liegt ein paar Jahre zurück und die Besatzer sind abgezogen, die Zeit holt die Toten nicht zurück, heilt dieVerletzungen nicht, doch sie lässt sie ins Vergessen gleiten; zuhause ist alles im Lot, ihre Tochter ist gesund, jetzt schon Schulkind, immer ein wenig zu dünn zwar, aber es könnte schlimmer sein, und Firmin hat wieder Arbeit. In der Stadt erhebt sich aus den Wunden des Krieges eine schillernde Kultur.
    Maria (re.) mit Freundinnen in Antwerpen, 20er Jahre.
    Im August 1921, da ist sie sieben Jahre alt, besucht Ady einen französisch-flämischen Literaturkurs und schließt die zweite Klasse mit einem, wie man so sagt, hervorragenden 1. Platz ab. Dafür erhält sie von der Directrice der Schule, Madame C. Braeckmans, eine kleine Urkunde und ein rot gebundenes Bändchen, ›Mon frère Jean‹ von Marie Leconte überreicht. Datiert ist die Urkunde auf »9 aout 1921, Borgerhout«. Ady heftet die Urkunde mit einer Stecknadel auf die erste Seite des Buches, davor lag ein Blatt mit der ›Brabanconne‹, der belgischen Nationalhymne auf Französisch.
    Die Stadt putzt sich heraus und Maria genießt es, durch die Straßen Antwerpens zu schlendern. Der Stolz, die Stadt wieder für sich zu haben, ist spürbar in den Bildern. Maria bummelt an den Schaufenstern entlang, zu sehen gibt es genug, die eleganten Schuhgeschäfte am Meir, raffiniert drapierte Seide, goldgelackte Baumwollstoffe oder Taftarrangements in den Auslagen an der Leysstraat, die gewagt aufgetürmten Pyramiden duftender Schokoladen und Pralinen in den Confiserien an De Keizerlei, den feinsten Adressen Antwerpens. Oder die funkelnden Steine hinter den blank polierten Scheiben der Juweliere im Diamantenviertel rund um den Bahnhof. Kaufhäuser eröffnen, etwas Neues, was es noch nie gab. Häuser, in denen alles zu haben ist, was Kunden und Kundinnen zum Konsum verleiten könnte: Stoffe und Kleider, Hüte und Handschuhe, Schmuck und Parfums, Vasen, Teppiche und selbst Möbel, alles unter einem Dach. Die Mobilität nimmt weiter zu, 1923 bekommt Antwerpen im Vorort Deurne einen Flughafen, der später eine entscheidende Rolle in der Geschichte der Stadt und im Leben von Ady spielen wird, die Automobilisten hupen die Passanten von der Straße und Fuhrwerke zur Seite. Bequem und sicher fährt man in der Straßenbahn in die City und binnen weniger Jahre erobert das Radio die Wohnstuben.
    Maria näht sich die Kleider entsprechend der Mode, kürzt Säume, lässt die Taille fallen, die Mieder werden abgeschafft. Der Rocksaum ihrer Kleider und Mäntel umspielt die Waden und sie schreitet im Rhythmus der Stadt. In Adys Fotoalben finden sich eine Reihe Fotografien, die Maria und später Ady auf der Straße zeigen – gehend, schlendernd, wie zufällig im Straßenleben geknipst. Jetzt, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren, schafft man sich selbst einen Fotoapparat an, private Schnappschüsse kommen in Mode. Es gibt sommerliche Urlaubsschnappschüsse von der Mutter, von Verwandten oder Freunden und der Tochter am Strand. Der Vater ist selten dabei. Entweder fotografiert er selbst, oder er ist gar nicht anwesend. Er ist der Versorger, vielleicht hat er keinen Urlaub und muss in der Stadt bleiben.
    Am 10. Januar 1920 heiratet Adys Tante Netje ihren Seemann, den Schweden Charley Högberg. Wir erfahren davon durch Post aus
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