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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Autoren: Claudia Seidert
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in raschem Tempo ab. In Flandern streiten die Aktivisten, die Gemäßigten fordern ein niederländischsprachiges Flandern und ein zweisprachiges Brüssel innerhalb eines demokratischen Belgien. In den Dreißigerjahren billigt das Parlament verschiedene Sprachgesetze, die diesem Begehr entgegenkommen. Die Anhängerschaften extremistischer Gruppen wachsen, darunter die kommunistische Partei, die Rex-Partei, Verdinaso und der Vlaams Nationaal Verbond, der VNV. Die radikalen flämischen Nationalisten wollen Belgien zerschlagen und ein unabhängiges Flandern, der VNV lehnt die Demokratie ab. Der Ruf nach einem starken Führer wird lauter, die totalitären Ideen von Mussolini, Hitler und Stalin sorgen für Inspiration. Das Individuum soll sich der Gemeinschaft aus Gleichgesinnten unterordnen. Auch die anderen Parteien und Vereinigungen lassen sich von militaristischen Ritualen wie Massenversammlungen, Uniformen, eigenen Ordnungstruppen, Märschen und Fahnen infizieren.
    Klassenfoto aus den 20er-Jahren (Ady in der obersten Reihe, 2. v. re.).
    In den fünf Jahren zwischen 1927 und 1932 wechselt die Familie dreimal die Wohnung: vom Bahnhofsviertel in die Zwartzustersstraat 32, ein Eckhaus in einem hübschen Backsteinviertel der Altstadt, ganz in der Nähe ihrer alten Wohnung in der Groote Dokstraat; anschließend nach Borgerhout in die Vandenpeereboomstraat 74, auch wieder ein schönes Backsteinhaus mit großen Fenstern, und schließlich wieder zurück in ihr altes Viertel in der Nähe des Hafens, in die Schippersstraat 12 – eine weite Straße mit Bäumen in der Mitte, die damals vermutlich noch nicht standen. Das Haus selbst gibt es nicht mehr. Es entstand wie die Häuser in der Nachbarschaft um die Jahrhundertwende mit drei oder vier Stockwerken und einem Garten auf der Rückseite. Firmins Beruf wird nun als Fuhrmann angegeben. Die Familie zieht also zweimal vom Westen Antwerpens in den Osten und wieder zurück. Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Die Eltern sind alt, brauchen vielleicht Pflege und öfter die Anwesenheit Marias, möglicherweise mag auch die Wirtschaftskrise eine Ursache gewesen sein.
    Ady hat mittlerweile den Beruf gewechselt, nun wird sie als »haartoister«, als Coiffeuse registriert. Sie wechselt die Branche – doch sie bleibt sich treu: Ihr Metier ist weiterhin die weibliche Schönheit, ein Motiv, das sich durch ihr Leben zieht. Zunächst wird sie von der Mutter liebevoll eingekleidet, fast könnte man sagen, dekoriert. Nun dekoriert und arrangiert sie selbst. Anfangs waren es Kleider oder Hüte, und nun sind es die Köpfe ihrer Kundinnen. Oder der eigene, 1927 zeigen Fotos sie das erste Mal mit blondierten Haaren.
    Aber auch wenn man als Modistin oder Coiffeuse die äußere Form glanzvoller, glamouröser gestalten kann, der Alltag eines Coiffeurs besteht letztlich darin, Haare zu schneiden, in giftigen Dämpfen Haare zu färben, fremden Menschen den Kopf zu waschen und die am Boden liegenden Haare zusammenzufegen. Von Ady wissen wir, dass sie dabei nicht blieb.
    Als Kind war Ady das Püppchen an Marias Seite gewesen und auch später als junges Mädchen hübsch hergerichtet und lieblich anzusehen. Doch die Hauptperson blieb stets Maria. Sie war die schöne Frau, die sich ihrer selbst bewusst inszenierte. Ihre Auftritte, nicht nur beim Fotografen, wurden sorgfältig geplant, die Garderobe mit Bedacht gewählt, die Frisur nach der Mode gelegt. Sie war selbstbewusst, in ihrer Korpulenz attraktiv, gereift und lebenslustig. In den Jahren um 1930 herum verändert sich Maria. Sie scheint weniger auf sich zu achten. Sie ist erst um die vierzig, aber nun scheint sie über ihre Jahre hinaus alt. Marias Körper verliert an Straffheit, ihre Formen beginnen zu fließen, was sie erst später, in den Sechzigerjahren, wieder rückgängig machen wird. Es mag auch sein, dass ihr die Wirtschaftskrise zusetzte, die Angst um die Existenz. Der Welthandel brach zusammen, im Hafen von Antwerpen lagen die Schiffe wochenlang auf Reede, für Firmin gab es keine Arbeit, keinen Lohn. Es fehlte an Geld, an Sicherheit und am Glauben an eine Zukunft.
    Ady probiert sich aus …
    Vermutlich bekam Maria auch zu spüren, wie ihr Fachgebiet ins Abseits geriet. Die Menschen, die früher ihre Kleidung bei der Schneiderin bestellten, können sie nun leicht und billiger im Kaufhaus als Konfektionsware erwerben. Damit kann Maria weniger zum Familienunterhalt beitragen, die Not wird größer. Auch Firmin hat sich verändert,
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