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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Autoren: Claudia Seidert
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Nachschubbasis für die Truppen der Entente und als Zugang zur Nordsee war Ziel von Angriffen. Selbst von Luftschiffen aus wurde Antwerpen bombardiert, was damals ein absolutes Novum war und zu internationalen Protesten führte. Die Deutschen ließen sich davon nicht hindern und sorgten unter den Bewohnern für Panik. Ein Zeppelin schoss schließlich die Gasanstalt in Flammen, Petroleumtanks im Hafen und Teile der Stadt brannten. Große Teile der Bevölkerung flüchteten aus der umkämpften Stadt. Die Forts, die das Stadtzentrum in einem Ring umschlossen, hielten dem massiven Beschuss nicht mehr Stand. Am 10. Oktober 1914 fiel Antwerpen.
    Maria muss in ihrer Wohnung am Rand des Hafens Todesängste ausgestanden haben. Was Ady davon mitbekommen hat, ob sie gar ein Trauma davongetragen hat, wissen wir nicht. Möglicherweise hatte Maria die Begabung, die Ängste ihrer kleinen Tochter aufzufangen und ihre eigenen vor ihr zu verbergen. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob sich die beiden überhaupt während der Zeit der Belagerung in der Stadt aufhielten oder Schutz auf dem Land finden konnten. Von Süden her, durch Berchem – hier werden später Maria und Firmin viele Jahre lang wohnen –, zogen am 11. Oktober die ersten deutschen Soldaten in die Stadt ein.
    Die Deutschen gingen auf ihrem Vormarsch in den ersten Kriegsmonaten mit äußerster Härte vor, auch gegen die Zivilbevölkerung. Tausende Bewohner der besetzten Dörfer und Städte wurden willkürlich erschossen, man trieb sie in ihre Häuser und steckte diese in Brand, unkontrolliert schossen deutsche Soldaten wild um sich, selbst auf eigene Kameraden. Mehr als 6500 Zivilisten kamen in Belgien ums Leben – unter ihnen Jugendliche, Priester und Frauen. Dörfer wurden niedergebrannt, systematisch geplündert, am bekanntesten wurde die Zerstörung der alten Universitätsstadt Leuwen, Löwen, wo die berühmte Bibliothek und die Kathedrale in Flammen aufgingen.
    Maria mit Ady, etwa 1917 – Erinnerungsfoto für den abwesenden Vater.
    Bis heute halten sich die Gerüchte um die »Franktireurs«, belgische Freischärler in Zivil, Männer und Frauen jeden Alters, die hinterhältig deutsche Soldaten angegriffen, ermordet oder im besten Falle gefangen genommen haben sollen. Erst als Reaktion darauf sollen deren Offiziere befohlen haben, zur Abschreckung Geiseln zu erschießen. Die internationale Entrüstung war groß, andererseits boten die deutschen Gräueltaten den Alliierten 1914/15 willkommene Argumentationsvorlagen für ihre Propaganda gegen den Feind. Die deutsche Reichsregierung versuchte ihrerseits 1915 in einem Weißbuch anhand von Zeugenaussagen deutscher Soldaten, Angriffe auf sie zu belegen.
    Recherchen von belgischen und deutschen Historikern haben längst ergeben, dass es größere Aktivitäten von »Franktireurs« nicht gegeben hat. Es stellte sich heraus, dass zahlreiche Zeugenaussagen im Weißbuch von 1915 und auf ihm basierenden offiziellen deutschen Werken aus der Zwischenkriegszeit anfechtbar oder planmäßig verfälscht worden waren. Doch die Legende von den hinterhältigen Angriffen der »Franktireurs« ließ sich politisch in der Weimarer Republik und dann vor allem in der NS-Zeit bestens nutzen. Ein Eingeständnis deutscher Schuld hätte der angestrebten Revision des Versailler Vertrages zusätzlich im Weg gestanden, hatten doch die Untaten, die das Reich dem kleinen Nachbarland angetan hatte, wesentlich zu den harten Bedingungen des Versailler Vertrages beigetragen, die Deutschland auferlegt wurden.

Besatzung 1914–1918
    Ady ist drei Jahre alt, seit zwei Jahren ist Krieg und die Deutschen haben in der Stadt das Sagen. Was Maria von außerhalb der Stadt hört, muss sie entsetzen, sind es Gerüchte, ist es wahr, sie weiß es nicht, niemand weiß etwas mit Bestimmtheit. Als Zeichen, dass sie an Firmin denken, lassen sich Mutter und Tochter im Atelier bei einem Fotografen ablichten. Zuvor haben sie sich fein gemacht, Maria in heller Bluse mit raffinierten Ärmeln und Ady mit einer Schleife im Haar. Sie hält einen Blumenstrauß in der Hand, für den Vater. Das Bild lässt sich leicht deuten: Sieh her, abwesender Papatje an der Front, wir beide sind zusammen, uns geht es gut und wir denken an Dich, wenn Du nicht bei uns bist.
    Bereits früher einmal, unter dem frischen Eindruck des Krieges, waren sie im Fotostudio gewesen, Ady war vielleicht eineinhalb Jahre alt. Damals war Marias Schwester Netje dabei. Die beiden Frauen trugen die dunkle Kleidung der
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