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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer
Autoren: Andrea Camilleri
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nach Gallotta hinaufging, richtete Gnazio das Wort an sie.
    «Was gibt’s Neues, Donna Pina?»
    Die Alte sah ihn verwundert an: Nie zuvor hatte Gnazio mit ihr gesprochen; er gab ihr immer nur das Wasser, und das war’s.
    «Was soll’s schon Neues geben? Nichts.»
    Doch weil sie begriffen hatte, dass dieser Mann sie etwas fragen wollte, blieb sie mit dem halbvollen Glas dort stehen. Umständlich holte Gnazio aus.
    «Wie lange, Donna Pina, kommt Ihr eigentlich schon über diesen steinigen Pfad daher?»
    «Seit über sechzig Jahren. Das erste Mal bin ich mit meiner Mutter gekommen, da war ich noch keine zehn.»
    «Dann habt Ihr also Cicco Alletto gekannt?»
    «Sicher habe ich den gekannt, den Armen!»
    «Wisst Ihr, warum er wahnsinnig geworden ist?»
    «Nein. Man hat erzählt, er hätte ein Wimmern gehört.»
    «Aber von einem Wimmern wird man doch nicht gleich wahnsinnig!»
    «Das schon. Aber man muss sich die Stelle ansehen, wo einer das Wimmern hört. Wenn man’s hier hört, ist das was anderes, als wenn man’s in Noce oder in Cannatello hört.»
    «Und wieso?»
    «Weil Ninfa anders ist, das ist weder Land, noch ist es Meer.»
    Gnazio brach in Gelächter aus.
    «Was heißt das, Ninfa ist weder Land noch Meer? Seht Ihr die Bäume da?»
    «Sicher. Aber was will das schon sagen?»
    «Das will sagen, dass noch keiner Bäume im Meer hat wachsen sehen.»
    «Gnazio, wisst Ihr eigentlich, dass unter Eurem Land direkt das Meer ist? Die Fischer und Seeleute sagen, dass Ninfa auf dem Meer treibt und darunter nur Wasser ist.»
    Gnazio wurde bleich.
    «Wirklich?»
    «So erzählt man sich! Und daher ist dieser Ort, der weder zum Land noch zum Meer gehört, ein Ort, an dem eben Dinge geschehen können, die sowohl auf dem Land als auch im Meer geschehen. Durchaus möglich, dass der arme Cicco Alletto von dem Wimmern geweckt wurde und, als er die Augen aufschlug, zehn Delphine im Strohschober liegen sah.»
    «Macht Ihr Witze?», fragte Gnazio, dem bei der Vorstellung, dass sein Stück Land auf dem Meer schwimmen könnte, der Schweiß ausgebrochen war.
    «Ja und nein», sagte Donna Pina und reichte ihm ihr Glas.
    Zwei Abende später, als Donna Pina wieder bei ihm haltgemacht hatte, um sich ein Glas Wasser geben zu lassen, beschloss Gnazio, ihr zu sagen, dass er bald eine Frau haben wolle.
    «Wie alt seid Ihr?», fragte die Alte.
    «Siebenundvierzig.»
    «Und klappt’s bei Euch noch?»
    Gnazio verstand nicht.
    «Was soll denn bei mir klappen?»
    «Na, der Schwengel!»
    Gnazio verstand und wurde rot.
    «Hm», sagte er.
    «Seit wann betätigt Ihr ihn nicht mehr?»
    Gnazio rechnete nach.
    «Sagen wir mal, sechs Jahre.»
    «Heiratet Ihr, um Kinder zu bekommen?»
    «Aber sicher!»
    «Dann sehen wir uns das Gerät mal an.»
    Gnazio verstand und ließ die Hose herunter.
    «Also, auf den ersten Blick scheint mir alles in Ordnung zu sein», sagte die Alte und streckte die Hand aus.
    Und obwohl die Haut an ihrer Hand an Baumrinde erinnerte, regte sich durch die fremde Berührung bei Gnazio sogleich etwas.
    «Ausgezeichnet, ausgezeichnet!», sagte die Alte und lachte. «Ich finde eine Frau für Euch. Schön und jung.»
    «Jung?»
    «Natürlich, wenn Ihr Kinder wollt.»
    «Aber würde eine junge Frau mich denn nehmen? Ich bin alt und hinke.»
    «Dass Ihr hinkt, merkt man kaum, das ist doch nur leicht. Dafür habt Ihr zehn Salmen Land und einen Schwengel, wie ihn kein junger Mann von zwanzig hat. Ich finde schon eine tüchtige Frau für Euch, seid unbesorgt!»
    Da machte sich Gnazio ans Werk für die Hochzeitsvorbereitungen.
    Er arbeitete einen Monat, um auf dem kleinen Raum, der sein Haus war, einen weiteren kleinen Raum zu errichten, der genau so beschaffen war wie der untere, nur dass sich an Stelle der Tür ein schönes Fenster befand. Zum Meer hin gab es indes keinerlei Öffnung, sondern nur Mauerwerk. Er baute auch eine Innentreppe aus Holz, über die man aus dem unteren ins obere Zimmer gelangte.
    Gegenüber von dem kleinen Raum, der ihm als Stall diente, errichtete er einen weiteren Raum von drei mal drei Metern mit zwei Türen, der innen von einer Wand unterteilt wurde: In dem einen Teil zog er einen Backofen hoch, den anderen machte er zur Vorratskammer, um dort das Korn zu lagern, Saubohnen, eingelegte Tomaten, Käse, Oliven, Früchte, Nüsse, Mandeln, getrocknete Kräuter – mit einem Wort: Lebensmittel.
    Dann kaufte er Eisenfußgestelle, Holzbretter und Matratzen und baute ein Ehebett, das er im oberen Zimmer aufstellte, ebenso
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