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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria
Autoren: Anne Perry
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weiter war als eine private Tragödie, auch wenn ein Minister in sie verwickelt war.
    Trotzdem beschloss er, sich den Tatort anzusehen, bevor er Narraway Bericht erstattete. Es war ein schöner Vormittag, und bis zum Connaught Square dauerte es zu Fuß höchstens zehn Minuten. Die Straßen waren unterdessen deutlich belebter, und fröhlich hallte das Klappern von Pferdehufen durch die Morgenluft. Auf dem Vorplatz eines großen Hauses klopfte ein Dienstmädchen von etwa vierzehn Jahren einen rot-blauen Teppich so kräftig, dass dichter Staub im Sonnenlicht tanzte. Flüchtig ging Pitt die Frage durch den Kopf, ob ihr lustvolles Zuschlagen auf Lebensfreude zurückging oder der Teppich die Stelle eines Menschen vertrat, den sie nicht ausstehen konnte.
    Er überquerte die Straße, deren Pflastersteine noch vom Tau glänzten, und warf einem der kleinen Jungen, die auf der Straße Pferdeäpfel zusammenkehrten, einen Penny zu. Noch hatte der Junge nicht viel zu tun, und so stand er auf seinen Besen gestützt da. Die einige Nummern zu große Schirmmütze saß ihm auf den Ohren.
    »Danke, Chef!«, rief er Pitt mit breitem Lächeln zu.
    Eden Lodge war ein eindrucksvolles Anwesen. Pitt hätte gern gewusst, ob Miss Sachari Eigentümerin des Hauses war oder zur
Miete darin wohnte und von wem sie es gemietet hatte. Natürlich war es denkbar, dass die beiden nicht besonders diskret gewesen waren und das Haus Ryerson gehörte. Wichtiger aber als diese Frage war jetzt, dass sich Pitt den Garten ansah, in dem man die Frau mit der Leiche angetroffen hatte. Dazu musste er ans Ende der Häuserzeile und um die Gebäude herumgehen.
    Am Pferdestall, hinter dem sich der Sankt-Georgs-Friedhof erstreckte, hielt ein Polizeibeamter Wache, und so musste sich Pitt ausweisen, bevor er das Grundstück betreten konnte. Er blieb auf dem Weg, obwohl kein Grund zu der Annahme bestand, dass er irgendwelche Spuren zerstören konnte. Die hölzerne Schubkarre stand noch an Ort und Stelle. Auf ihren Bodenbrettern war eine Lache aus geronnenem Blut zu erkennen. Ganz offensichtlich hatte der Tote quer darüber gelegen, mit dem Kopf auf der einen und den Beinen auf der anderen Seite. Dort, wo den Aussagen Inspektor Talbots nach Miss Sachari gestanden hatte, fand Pitt Blutspuren am Boden.
    Er bückte sich und untersuchte aufmerksam die nähere Umgebung. Das Rad der Schubkarre hatte eine knapp einen Meter lange Vertiefung im Boden erzeugt und war um eine gute Daumenbreite ins Erdreich eingesunken, was einen Rückschluss auf das Gewicht der Last zuließ. Außerdem sah er Spuren aus der Richtung, von wo sie leer herbeigebracht, herumgedreht und beladen worden war. Er richtete sich auf und ging einige Schritte weiter. Herabgefallene Ästchen, Laub und kleine Steine am Boden bewirkten, dass die Fußspuren ziemlich undeutlich waren, doch erkannte er, wo jemand gestanden und sich umgedreht hatte. Allerdings ließ sich unmöglich sagen, ob es sich dabei um eine einzelne Person oder mehrere gehandelt hatte, und schon gar nicht, ob die Fußabdrücke von einem Mann, einer Frau oder von beiden stammten.
    Bei genauerem Hinsehen erkannte Pitt zwischen Lorbeer- und Rhododendronbüschen etwa fünf Schritt von der Gartenmauer entfernt, die den Weg zum Dienstboteneingang mit der Spülküche begrenzte, deutlich rostrotes eingetrocknetes Blut. Dort also musste das Opfer zu Boden gestürzt sein.
    Die Büsche standen im Schatten von Birken, die hoch über sie hinausragten. Vom Pferdestall aus konnte man diese Stelle mit Sicherheit nicht sehen, und das Wohnhaus schützte sie vor Blicken von der Straße her. Hinter einer von Blumenrabatten eingefassten Rasenfläche sah Pitt eine Terrassentür, die in den Wohntrakt des Hauses führte.
    Was zum Henker mochte Edwin Lovat mitten in der Nacht dort getrieben haben? Pitt konnte sich nicht recht vorstellen, dass er durch den Pferdestall gekommen war und auf diese Weise ins Haus gehen wollte, es sei denn, er hätte sich mit der Bewohnerin verabredet und diese ihn hinter der Terrassentür erwartet. Falls sie ihn nicht empfangen wollte, wäre nichts einfacher gewesen, als ihn abzuweisen, denn sie brauchte lediglich ihren Dienstboten die nötige Anweisung zu geben. Im schlimmsten Fall hätte sie Anweisung geben können, den ungebetenen Besucher an die frische Luft zu setzen.
    Falls Lovat in der Tat gerade erst angekommen war, sah es verdächtig danach aus, als hätte ihm die Ägypterin mit der Absicht dort aufgelauert, ihn umzubringen. Warum sonst
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