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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria
Autoren: Anne Perry
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glaube, dass ich die Fragen des Gerichts zu diesem Punkt beantworten kann, denn ich lebe und arbeite seit über fünfundzwanzig Jahren in Ägypten. Gewisse Dinge allerdings habe ich erst erfahren, nachdem Mr Pitt Alexandria verlassen hat, sodass ich sie ihm nicht sagen konnte, als er dort seine Nachforschungen betrieb.«
    Der Richter runzelte die Stirn. »Falls Sir Anthony Sie als Zeugen aufzurufen wünscht, sind wir bereit, Sie im Interesse der Gerechtigkeit anzuhören.«
    Markham hatte keine Wahl. Er erklärte Pitts Befragung für beendet, und Trenchard nahm dessen Platz im Zeugenstand ein.
    Pitt setzte sich neben Narraway. Eine sonderbare Anspannung überkam ihn, als Trenchard seine Angaben gemacht und beschworen hatte.
    Markham hingegen wirkte völlig gelöst. Seine Mandanten, die noch am Vortag mit einer sicheren Verurteilung hatten rechnen
müssen, durften auf einmal auf einen Freispruch hoffen. Zwar hatte er selbst nichts dazu beigetragen – es waren einfach Umstände eingetreten, die sich seinem Einfluss entzogen –, doch wollte er das als seine Leistung herausstreichen. Es sollte ein bemerkenswerter Sieg für ihn werden.
    »Mr Trenchard«, begann er. »Waren Sie mit Leutnant Lovat bekannt, als er in Ägypten gedient hat?«
    »Nicht persönlich«, gab Trenchard zur Antwort. »Ich stehe im diplomatischen Dienst, er hingegen war beim Militär. Möglicherweise sind wir einander begegnet, ohne bewusst Kenntnis voneinander zu nehmen.«
    Der Richter runzelte die Brauen.
    Die Geschworenen sahen sich gelangweilt im Saal um. Noch waren sie sichtlich nicht gefesselt.
    Pitt merkte, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte und die Nägel sich in die Handflächen gruben.
    Markham hielt die Augen auf den Zeugenstand gerichtet. »Kannten Sie den Toten, Tariq El Abd?«
    »Ich habe viel über ihn gehört – von seinem letzten Arbeitgeber, einem mir gut bekannten Imam vor den Toren Alexandrias«, sagte Trenchard. Er stand sehr aufrecht da und umklammerte die Brüstung so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
    Pitt spürte, wie ihn eine Welle der Angst überflutete, für die er keinen vernünftigen Grund hätte nennen können. Er sah zur Anklagebank hinüber. Zwar wirkte Ryerson aufmerksam, doch zeigte er keine Gefühle. Noch wagte er nicht zu hoffen. Ayesha Sachari hingegen beugte sich weit vor und sah Trenchard mit vor Verblüffung aufgerissenen Augen an. Entsetzt begriff Pitt, dass sie ihn kannte, und zwar nicht nur dem Namen nach, wie er gesagt hatte, sondern von Angesicht zu Angesicht.
    Allmählich begannen auch die Geschworenen der Sache Aufmerksamkeit zu schenken und bemühten sich, jedes Wort mitzubekommen und möglichst auch etwas zu sehen.
    Trotz der Wärme im Saal wurde Pitt im tiefsten Inneren von Eiseskälte erfasst. Ihm fiel ein, dass Trenchard gesagt hatte, er habe
eine Ägypterin geliebt, die vor kurzer Zeit bei einem Unfall ums Leben gekommen sei. Gerade als säße er wieder mit schmerzenden Gliedern auf dem Erdboden und hörte das sanfte Plätschern des Nils in der Dunkelheit draußen, hörte er in seinen Gedanken die Stimme Ishaqs, der von seinem Vater, dem Imam, und dessen Alpträumen von Gemetzel und verbrannten Menschenleibern erzählte, von dem Diener, der ihn gepflegt, jedes seiner Worte in sich aufgenommen, all seinen Kummer und die Schuld mitbekommen hatte und der ebenfalls kürzlich gestorben war.
    Mit einem Mal blitzte in seinem Bewusstsein ein entsetzlicher Verdacht auf. So musste es sein! Alles passte genau zusammen. Wenn Ayesha Sachari und Trenchards Geliebte ein und dieselbe Frau waren und auch Tariq El Abd und der Diener des Imam ein und derselbe Mann, war alles klar. Trenchard mit seiner schwärmerischen Liebe zu Ägypten wusste, was sie für ihre Heimat empfanden, wusste von dem Massaker und hatte sich die fehlenden Bestandteile der Geschichte nach und nach zusammengestückelt: die vier englischen Soldaten, die Ferdinand Garrick nicht nur deshalb aus Alexandria abkommandiert hatte, weil er sie schützen wollte, sondern auch, weil er – als seinem Land bis zur letzten Faser seines Wesens treu ergebener hoher Offizier – Großbritanniens Besitzungen in Afrika und im Osten bewahren wollte.
    Pitt drehte sich zu Narraway um und flüsterte: »Ich vermute, dass er dem Gericht gleich die näheren Umstände des Massakers darlegen wird.« Er hörte, wie seine eigene Stimme bei diesen Worten zitterte. »Vielleicht war es von vornherein seine Absicht, die Zusammenhänge selbst
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