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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria
Autoren: Anne Perry
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Richter zu.
    Narraway blieb stehen. Wusste der Verteidiger von der Sache mit El Abd? Falls nicht, würde er begierig nach jedem Strohhalm greifen, der es ihm erlaubte, seinen Mandanten herauszuhauen. Dann fiel Narraway zu seinem Ärger ein, dass er nicht sicher war, ob El Abd als Zeuge der Anklage vorgesehen war, der das perfekte Motiv liefern sollte, oder als Zeuge der Verteidigung, dem die Aufgabe zugefallen wäre, der Angeklagten mildernde Umstände zu verschaffen.
    Und wenn der Überraschungszeuge gar nicht El Abd war, sondern jemand anders? Es lief auf dieselbe Frage hinaus, auf die ihnen nach wie vor jede Antwort fehlte: Wer zog hinter den Kulissen die Fäden, wer war für Lovats Tod verantwortlich? Wer war der Mann, der Suez und die östliche Hälfte des Reiches in den Abgrund stürzen wollte? Stand womöglich einer der beiden Anwälte in seinem Sold? Wer hatte El Abd getötet, und warum?
    Im Saal hörte man keinen Laut. Pitt sah sich um. Die Zuschauergalerie war zu etwa drei Vierteln gefüllt. Er entdeckte Vespasia. Sie trug einen sehr kleinen, dezenten Hut, möglicherweise aus Rücksicht auf jene, denen sie sonst die Sicht versperrt hätte. Das Sonnenlicht fiel auf ihr blasses Gesicht und blitzte in ihrem silbernen Haar auf. In der Reihe hinter ihr saß Ferdinand Garrick. Er hielt den Blick starr vor sich gerichtet, als warte er gebannt auf das, was sich gleich unten im Gerichtssaal abspielen würde.
    Mit trübseliger Miene und erkennbar ohne jedes Interesse saßen die Geschworenen wartend da. Sie hörten nur noch zu, weil es von ihnen erwartet wurde.
    Narraway ging auf Markham zu und blieb neben ihm stehen. Pitt folgte ihm mit einem Schritt Abstand.
    »Der Tote unter der Themsebrücke war Tariq El Abd, der Diener Ihrer Mandantin«, sagte Narraway so leise, dass Pitt nur jedes zweite Wort mitbekam. »Er hat Leutnant Lovat getötet. Nicht nur hat sie das selbst bestätigt, es deckt sich auch glänzend mit den Ergebnissen unserer Nachforschungen.«
    Markham stand regungslos da. »Wie günstig für Miss Sachari ... und natürlich auch für Mr Ryerson«, sagte er mit einer Spur Sarkasmus
in der Stimme. »Und warum hat er ihn getötet? Wissen Sie das etwa ebenfalls?«
    »Nein. Es spielt aber auch keine Rolle.« Narraways Stimme war kalt wie Stahl. »Da gibt es viele Möglichkeiten – vielleicht ist der Mann seiner Tochter zu nahe getreten, seiner Schwester oder sogar seiner Frau! Beeilen Sie sich, Mann! Fragen Sie bei der Wasserschutzpolizei nach. Mein Mitarbeiter Thomas Pitt wird den Toten gern für Sie identifizieren.«
    Markham warf einen Blick auf Pitt. Dieser nickte.
    Markhams Gesicht verfinsterte sich. Er hasste es, gesagt zu bekommen, was er zu tun hatte, ganz gleich, von wem.
    »Nun, Sir Anthony, gedenken Sie fortzufahren?«, fragte der Richter leicht verärgert.
    Markham sah zu ihm auf, als schiebe er alles beiseite, was Narraway gesagt hatte. »Gewiss, Mylord. Mir sind soeben einige äußerst bemerkenswerte Vorfälle mitgeteilt geworden, die Leutnant Lovats Tod in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich gern Thomas Pitt in den Zeugenstand rufen.«
    »Ich hoffe nur, dass das zur Sache gehört«, mahnte der Richter matt. »Ich dulde in meinem Gericht kein Theater.«
    »Die Aussage wird zwar dramatisch sein, Mylord«, erwiderte Markham kalt, »aber bestimmt kein Theater.«
    »Fangen Sie schon an«, beschied ihn der Richter.
    »Ich rufe Thomas Pitt in den Zeugenstand«, sagte Markham mit lauter Stimme.
    Narraway warf Pitt einen kurzen Blick zu, machte auf dem Absatz kehrt und ging die zwei Schritte bis zu einem freien Platz. Pitt durchquerte den Raum und erstieg die Stufen zum Zeugenstand.
    Er nannte seinen Namen und seine Anschrift und wartete, dass ihn Markham nach El Abd fragte. Zum ersten Mal wurde er nicht als Polizeibeamter vernommen. Jetzt war er ein Niemand, dem keinerlei Dienstgrad oder berufliche Stellung zusätzliche Glaubwürdigkeit verlieh. Trotzdem war er die Ruhe selbst, da er seiner Antworten sicher war.
    »Kannten Sie Tariq El Abd, Mr Pitt?«, fragte Markham.
    »Ja.«
    »In welcher Eigenschaft?«
    »Als Diener Miss Sacharis in Eden Lodge«, gab Pitt zur Antwort. »Es war keine private Bekanntschaft.«
    »Aber Sie haben längere Zeit mit ihm gesprochen?«, fasste Markham nach.
    »Ja, insgesamt vielleicht eine Stunde.«
    »Sie würden ihn also wiedererkennen, wenn Sie ihn sähen?«
    »Ja.«
    »Haben Sie ihn seither gesehen?«
    Die Geschworenen rutschten
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