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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria
Autoren: Anne Perry
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vermutlich sollte es auch nicht nach einem aussehen.«
    »Stimmt, Mrs Pitt«, gab ihr Narraway finster Recht. »Die Tat muss jemand begangen haben, der nicht nur ihn gekannt hat, sondern auch seine Verbindung zum Mord an Lovat sowie den ganzen Plan, in Ägypten zum Sturm zu blasen.« Er sah Pitt an. »Nicht El Abd war der Drahtzieher in den Kulissen. Hinter ihm muss ein anderer gestanden haben, und der hat ihn aus einem uns unbekannten Grund getötet.« Unwillkürlich ballte er eine Hand zur Faust. »Aber warum nur? Und warum ausgerechnet jetzt? Die Leute hatten doch den Sieg in Reichweite!«
    Pitt stand dicht vor dem Feuer, als friere auch er.
    »Vielleicht hat El Abd der Mut verlassen, und er war nicht mehr bereit auszusagen«, gab er zu bedenken. Noch während er das sagte, merkte er, dass er selbst nicht daran glaubte. »Aber das ergibt auch keinen Sinn. Welchen Grund hätte er dafür gehabt? Er hatte nichts zu verlieren. Es war ja nicht so, als wenn er die Schuld auf sich nehmen wollte – seine Absicht war es lediglich, die Verbindung zwischen Miss Sachari und dem Ermordeten intensiver erscheinen zu lassen, als sie war, damit der Eindruck entstand, dass sie ein einwandfreies Tatmotiv hatte.«
    Charlotte sah Narraway fragend an. »Wird das Ryerson helfen? Können Sie jetzt beweisen, dass El Abd der Mörder Lovats war, ohne das Massaker und die Hintergründe erwähnen zu müssen? Er konnte doch eine beliebig große Zahl von Motiven haben, und das schon seit Lovats Zeit in Alexandria ... nicht wahr?«
    »Hm«, machte Narraway nachdenklich. »Ja, jetzt müsste es uns möglich sein, Ryerson und Miss Sachari vollständig zu entlasten – vorausgesetzt, wir belassen es dabei, den Tod des Dieners als Selbstmord aufzufassen.«
    Ein hässlicher und quälender Gedanke meldete sich bei Pitt, doch er wies ihn von sich.
    »Und werden Sie das tun?«, fragte Charlotte.
    Pitt sagte nichts.
    »Im Augenblick haben wir keine andere Möglichkeit«, gab Narraway zurück.
    Charlotte holte Tee. Sie blieben noch etwa eine halbe Stunde lang sitzen, wärmten sich am Feuer und unterhielten sich über die neuesten Nachrichten. Unter anderem war kürzlich Lord Tennyson gestorben, und so überlegten sie, wer wohl sein Nachfolger als Hofdichter würde. Dann stand Narraway auf und ging.
    Kaum war er fort, verließ Pitt, der immer unruhiger geworden war, das Haus ebenfalls, ohne Charlotte zu sagen, wohin er ging. So quälend war seine Angst, dass er sie nicht einmal ihr gegenüber hätte in Worte fassen können. Es war, als könnte er ihren Grund vor sich selbst ein wenig länger verbergen, wenn er nicht darüber sprach.
    Am Südufer der Themse fuhr er mit dem Pferdeomnibus bis zum Hauptquartier der Wasserschutzpolizei. Der Wachtmeister, der Dienst hatte, teilte ihm mit, in welches Leichenschauhaus man den Toten gebracht hatte. Eine halbe Stunde später stand er an Tariq El Abds Leiche und sah in das angeschwollene, lila verfärbte Gesicht. Der Geruch nach Karbol und Tod würgte ihn im Hals, obwohl er ihm vertraut war. Schon immer war er der Ansicht gewesen, die fleckenlosen Kacheln des Raumes stünden im schreienden Gegensatz zu dessen Verwendungszweck. Der Kopf des Toten lag in einem sonderbaren Winkel, und Pitt konnte deutlich den gekrümmten Abdruck eines Seils erkennen, der sich am Hals bis zu einem Ohr emporzog.
    Auf der Suche nach weiteren Spuren bewegte er den Kopf leicht. Er fand eindeutige Hinweise darauf, dass etwas den Mann am Schädel getroffen hatte. Vor seinem Tod?
    Hinter sich hörte er Schritte und fuhr rasch herum, als hätte er ein schlechtes Gewissen oder als drohe ihm Gefahr. Sein Herz hämmerte in der Brust, und er bekam nur mit Mühe Luft.
    Überrascht sah ihn McDade an.
    »Sie sind ja ganz schön überreizt, was? Was wollen Sie denn wissen? Irgendwann in der vergangenen Nacht ist der Tod eingetreten.
Über die Uhrzeit lässt sich schwer etwas sagen, weil das Wasser die Körpertemperatur beeinflusst hat.«
    »Gezeiten?«, fragte Pitt.
    »Habe ich mit einbezogen.« McDade presste die Lippen etwas fester aufeinander. »Mir ist schon seit geraumer Zeit bekannt, dass im Unterlauf der Themse das Wasser mit einfallsloser und vorhersagbarer Regelmäßigkeit steigt und fällt. Doch kann ich nicht sagen, ob ihn die Hecksee eines vorüberfahrenden Schiffs erfasst hat, ob das Wasser für einige Augenblicke höher gestiegen ist, als es im Fluss stand, oder ob er vielleicht ausgerutscht ist und nasser geworden ist, als er
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