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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Autoren: Alexis Jenni
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meine Buntstifte aus der Hand legen, sie in den Arm nehmen, ihre Brüste sanft streicheln und sie beruhigen, indem ich ihre Tränen trocknete und ihr sagte, was ich alles empfand, wenn ich sie sah, sie in meiner Nähe hatte, sie in den Armen hielt. Die auf meiner unvollendeten Zeichnung liegenden Buntstifte bewegten sich nicht mehr, und ich erzählte, erzählte, dabei hätte ich sie so gern abgebildet, ich drang immer tiefer in das Labyrinth der Erzählung ein, dabei hätte ich lieber ganz einfach gezeigt, wie es war, doch ich war wieder einmal dazu verdammt, mich der Erzählung zu widmen, um Trost zu spenden. Es gelang mir nie, ihre Augen zu zeichnen. Aber ich erinnere mich an meinen Wunsch, es zu tun, einen Wunsch nach Zeichenpapier.
    Mein beschissenes Leben konnte durchaus einen Ortswechsel vertragen. Da ich ungebunden war, gehorchte ich der Macht der Gewohnheit, gehorchte ihr wie der Schwerkraft. Die mir bekannte Rhône gefiel mir schließlich besser als die mir unbekannte Schelde; schließlich, das heißt, zum Schluss, am Schluss. Ich ging nach Lyon zurück, um Schluss zu machen.
    Das Unternehmen Wüstensturm hatte mich vor die Tür gesetzt. Ich war ein Kollateral-Opfer der Explosion, die man nicht sah, deren Echo wir aber in den nichtssagenden Fernsehbildern empfingen. Ich war so wenig ans Leben gebunden, dass mich ein Seufzen in weiter Ferne von ihm losreißen konnte. Die eisernen Schmetterlinge der US Air Force schlugen mit den Flügeln, und das löste am anderen Ende der Erde einen Wirbelsturm in meiner Seele aus, es machte Klick und ich kehrte dahin zurück, wo ich herkam. Dieser Krieg war das letzte Ereignis meines vorherigen Lebens; dieser Krieg bedeutete das Ende des 20. Jahrhunderts, in dem ich groß geworden war. Der Golfkrieg entstellte die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit gab erstaunlicherweise nach.
    Der Krieg fand statt. Aber was heißt das schon? Für uns hätte er eine Erfindung sein können, wir verfolgten ihn am Bildschirm. Und doch veränderte er die Wirklichkeit in manchen dieser wenig bekannten Regionen; er wirkte sich auf die Wirtschaft aus, er verursachte meine Entlassung und war der Grund für meine Rückkehr zu etwas, vor dem ich geflohen war; und die Soldaten fanden nach ihrer Rückkehr aus diesen warmen Ländern, wie es hieß, nie ihre ganze Seele wieder: Sie litten an rätselhaften Krankheiten, Beklemmungen, Schlaflosigkeit und starben an innerer Zersetzung der Leber, der Lungen, der Haut.
    Es lohnte sich wirklich, sich für diesen Krieg zu interessieren.
    Der Krieg fand statt, aber man erfuhr nicht viel darüber. Das war wohl besser so. Die Einzelheiten, die man erfuhr, lassen, wenn man sie zusammenfügt, eine Wirklichkeit entstehen, die man besser unter Verschluss halten sollte. Der Wüstensturm fand statt, und der leichte Schmalspießer hoppelte hinterher. Die Iraker wurden unter einer nur schwer vorstellbaren Bombenmenge begraben, es wurden mehr als jemals sonst abgeworfen, jeder Iraker konnte seine eigene haben. Manche dieser Bomben durchschlugen Mauern und explodierten dahinter, andere zerstörten nacheinander die verschiedenen Stockwerke eines Wohnhauses, ehe sie im Keller zwischen den Menschen explodierten, die dort Schutz gesucht hatten, andere verschleuderten Grafitpartikel, um einen Kurzschluss auszulösen und die elektrischen Anlagen zu zerstören, andere vernichteten den gesamten Sauerstoff in einem riesigen Umkreis, wieder andere suchten sich selbst ihr Ziel wie witternde Hunde, die mit gesenkter Nase losrennen, ihre Beute erhaschen und explodieren, sobald sie sie berührt haben. Anschließend wurden Iraker, die in Massen aus Unterständen strömten, mit Maschinengewehren beschossen, vielleicht griffen sie an, vielleicht ergaben sie sich, man weiß es nicht, denn sie starben alle, niemand überlebte. Sie hatten erst seit dem Vortag Munition, denn die misstrauische Baath-Partei, die alle kompetenten Offiziere beseitigt hatte, gab ihren Truppen aus Furcht, sie könnten revoltieren, keine Munition. Diese zerlumpten Soldaten hätte man genauso gut mit Holzgewehren bewaffnen können. Die Soldaten, die nicht schnell genug ins Freie kamen, wurden in ihren Unterständen von Planierraupen begraben, die in einer Reihe vorrückten und die Schützengräben mit allem, was darin war, mit Erde zuschütteten. Dieser seltsame Krieg, der einer Abbruchstelle glich, dauerte nur ein paar Tage. Die sowjetischen Panzer der Iraker machten den Versuch, eine Großoffensive auf flachem Gelände
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