Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Autoren: Alexis Jenni
Vom Netzwerk:
Pfeifen selbst ihr Ziel suchten. Ich sah all das, ohne die Druckwelle zu spüren, nur im Fernsehen, wie in einem nicht besonders gelungenen Spielfilm. Aber die Bilder, die mich zu Beginn des Jahres 1991 am meisten verdutzt haben, waren so banal, dass sich vermutlich niemand mehr an sie erinnert, und doch bewirkten sie, dass für mich das Jahr 1991 zum letzten Jahr des 20. Jahrhunderts wurde. Ich sah in den Fernsehnachrichten den Aufbruch des Spahi-Regiments aus Valence in die Golfregion.
    Die jungen Männer waren alle unter dreißig, und ihre jungen Frauen begleiteten sie durch die Stadt. Die Frauen küssten sie vor den Fernsehkameras, hatten kleine Kinder im Arm, von denen die meisten noch zu klein waren, um sprechen zu können. Die jungen, muskulösen Männer und diese hübschen jungen Frauen umarmten einander zärtlich, und dann stiegen die Soldaten des Spahi-Regiments aus Valence in ihre sandfarbenen LKW s, ihre Transportpanzer oder ihre Panzerspähwagen. Damals wusste man nicht, wie viele von ihnen zurückkommen würden, man wusste noch nicht, dass dieser Krieg so gut wie keine Opfer auf Seiten der westlichen Koalition fordern würde, sondern nahezu alle auf Seiten der namenlosen Menschen, die in heißen Ländern leben, so wie die Auswirkung von Schadstoffen, die Desertifikation oder die Rückzahlung der Staatsschulden auf deren Kosten geht; und in diesem Moment wurde in der Stimme des Kommentators ein melancholischer Unterton spürbar, wir bedauerten alle gemeinsam den Aufbruch unserer jungen Soldaten zu einem Krieg in weiter Ferne. Ich war völlig verblüfft.
    Es waren banale Bilder, wie man sie aus dem amerikanischen oder englischen Fernsehen schon seit vielen Jahren kannte, aber in Frankreich geschah es 1991 zum ersten Mal, dass man Soldaten sah, die ihre Frauen und ihre kleinen Kinder an sich drückten, bevor sie zu einem Kriegsschauplatz aufbrachen; zum ersten Mal seit 1914 wurden französische Soldaten als Männer gezeigt, an deren Leid man Anteil haben konnte und die uns fehlen könnten.
    Plötzlich tat sich etwas in der Welt, ich zuckte zusammen.
    Ich richtete mich auf, schob den Körper unter der Steppdecke hervor. Nicht nur Augen und Nase, sondern Mund, Schultern und Oberkörper. Ich musste mich hinsetzen, musste mir das genauer ansehen, denn ich wurde zum ersten Mal in einer Fernsehsendung Zeuge einer zwar völlig unverständlichen, aber für alle sichtbaren öffentlichen Versöhnung. Ich zog die Beine an, umschlang sie mit den Armen, legte das Kinn auf die Knie und sah mir diese alles verändernde Szene an: den Aufbruch des Spahi-Regiments aus Valence in die Golfregion; manche Soldaten wischten sich eine Träne ab, ehe sie in ihren sandfarbenen LKW stiegen.
    Anfang 1991 ereignete sich nichts: der Golfkrieg war noch in der Vorbereitungsphase. Da die Fernsehsender über keinerlei Informationen verfügten, speisten sie uns mit leeren Sprüchen ab. Sie strahlten eine Flut von nichtssagenden Bildern aus. Experten wurden befragt, die sich in Vermutungen ergingen. Archivbilder wurden gezeigt, die wenigen Bilder, die es noch gab und die noch nicht von irgendeiner Instanz zensiert worden waren, und das endete immer mit statischen Kameraeinstellungen der Wüste, während der Kommentator Zahlen zitierte. Man erfand, sog sich etwas aus den Fingern. Wiederholte dieselben Einzelheiten, suchte nach neuen Blickwinkeln, um dieselbe Sache noch einmal zu zeigen, ohne den Zuschauer zu langweilen. Man schwafelte.
    Ich verfolgte all das. Sah mir die Flut der Bilder an, ließ mich von ihr berieseln, verfolgte ihre Konturen; sie ergoss sich aufs Geratewohl, folgte aber immer dem Gefälle; zu Beginn des Jahres 1991 hatte ich für alles Zeit, ich klammerte das Leben aus, tat nichts anderes, als zu sehen und zu fühlen. Ich verbrachte den ganzen Tag im Bett und ließ mich nur vom Rhythmus meiner Lust und deren regelmäßiger Befriedigung leiten. Wahrscheinlich erinnert sich niemand mehr an den Aufbruch des Spahi-Regiments aus Valence in die Golfregion, bis auf die Soldaten, die in den Krieg zogen, und ich, der das alles im Fernsehen verfolgte, denn im Frühjahr 1991 geschah nichts. Die Kommentatoren bemühten sich, die Leere mit nichtssagenden Worten zu füllen, und ansonsten wartete man; es geschah nichts, bis auf eins: Die Armee wurde wieder in die Gesellschaft integriert.
    Man kann sich fragen, wo sie denn die ganze Zeit gewesen war.
    Meine Freundin wunderte sich über mein plötzlich erwachtes Interesse für einen Krieg,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher