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Ein neues Paradies

Titel: Ein neues Paradies
Autoren: Hans Dominik
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Die Nahrung der Zukunft
    Erschienen im Neuen Universum , Band 28, 1911
1
    Unsere Geschichte beginnt am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, und unser Weg führt uns in die Tertia eines Gymnasiums. Es wird gerade eine Stunde Kulturgeschichte abgehalten und heute findet zur Freude der ersten, zum Schrecken der beiden letzten Bänke eine allgemeine Repetition statt.
    »Primus, nennen Sie mir die Hauptkulturepochen der Menschheit«, sagte der Ordinarius Doktor Bunsen.
    Der Angerufene erhob sich und begann, wie es sich für einen guten Primus ziemt, in fließender Rede: »Wir haben zuerst die Periode der Sammelvölker. Der einzelne sammelt dabei mit den Händen, was er an Pflanzen und Tieren erreichen kann, und das ist im allgemeinen nicht viel. Nur wenige Menschen kann ein großes Land in dieser Zeit ernähren. Es folgt die Periode der Jägervölker, die dem Getier mit Pfeilen und Speeren nachstellen. Soweit Bogenschuß und Steinwurf reichen, gehört ihnen die Welt, und wo früher ein Sammler kärgliche Nahrung fand, da bringen jetzt zehn Jäger reiche Beute mit. Auf die Jäger folgen die Hirten. Bei wachsender Volkszahl wurde die Jagd unsicher. Darum hat man allerlei Getier gezähmt. Man hält es in großen Herden und hat Fleisch in Hülle und Fülle. Aber bei wachsender Herde wird die Weide knapp. Schon Abraham und Lot müssen sich trennen, weil ihre Tiere zusammen nicht Gras genug finden. So kommen wir zwanglos zur vierten Periode, in der man nicht nur Tiere zähmt, sondern auch Nahrungspflanzen gewissermaßen zahm gemacht hat und auf Äckern anbaut. In landwirtschaftlichen Betrieben wird Fleisch und Brot erzeugt und wo vordem ein Jäger sich recht und schlecht, aber meistens nur schlecht durchschlug, da steht jetzt ein Dorf mit hundert Bewohnern. Aus dem wandernden Herdenbesitzer ist der seßhafte Ackerbauer geworden.« »Sehr gut, setzen Sie sich!« unterbrach der Lehrer. »Sekundus, wollen Sie mir die weitere Entwicklung vom Ackerbauvolk aus schildern.«
    Der Gefragte begann: »Die landwirtschaftliche Periode reicht bis tief in das zwanzigste Jahrhundert hinein und ist auch heute noch nicht völlig überwunden. Als der Acker von Europa in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts seine Bewohner nicht mehr ernähren konnte, trat eine fünfte Epoche ein, die Periode des Welthandels, der Exportindustrie. Man fabrizierte in dem dicht bevölkerten Europa Kanonen, Rasiermesser, Baumwollstoffe und dergleichen in gewaltigen Mengen und verkaufte diese Dinge an die fruchtbaren Getreideländer von Amerika, Asien und Afrika. Aber man ließ sich nicht mehr bar bezahlen. Es kam kein Hartgeld dafür nach Europa. An Ort und Stelle tauschte man den erworbenen Geldanspruch sofort wieder gegen Fleisch und Getreide ein. Dieselben Riesendampfer, die von England und Deutschland Stahl und Zeugstoffe über die Ozeane schleppten, kehrten zurück, beladen mit unendlichen Fleisch- und Brotmengen. Der Brasilianer trug ein Hemd, das in Manchester gesponnen und gewebt war, und schoß seinen Gegner beim Kartenspiel mit einem Revolver über den Haufen, der in Solingen geschmiedet wurde. Auf den Tischen aber des Schmiedes in Deutschland und des Webers in England stand australisches Fleisch neben amerikanischem Kornbrot. Der Welthandel, in dessen Diensten eine unendliche Dampferflotte die blauen Ozeane durchfurchte, suchte auf diese Weise allen zu helfen.«
    »Gut, weiter der dritte!« unterbrach Doktor Bunsen, während man auf der letzten Bank mit Genugtuung konstatierte, daß die Hälfte der Stunde verflossen war.
    Der dritte fuhr fort: »England hatte als erstes Land mit dem Welthandel begonnen. Andere Völker mußten jedoch schnell folgen. Bereits im Jahre 1906 war unser Vaterland, Deutschland, in der Zwangslage, alljährlich für sechstausend Millionen Mark Maschinen, Stahlwaren und dergleichen an das Ausland zu verkaufen und dafür Fleisch und Brot einzuhandeln. Naturgemäß entbrannte ein scharfer Wettbewerb zwischen den exportierenden Völkern. Engländer, Deutsche, Amerikaner und Japaner rissen sich darum, irgendeinem Neger für seinen Reis ein baumwollenes Hemd zu verkaufen. Trotzdem ging die Sache so lange, bis besagter Neger auf die Idee verfiel, sich seine Badehose selber zu machen und seinen Reis selber zu essen. Ein Ackerbauvolk nach dem anderen kam in die Lage, sein Getreide für die eigene Volksmenge zu gebrauchen und seine Kanonen und Rasiermesser selber herzustellen. Bereits in den ersten zehn Jahren des zwanzigsten
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