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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Autoren: Alexis Jenni
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Kriegsgerät, das die Steuerlast erhöht, auf den Geist. Die französische Armee ist stumm, sie gehorcht ostentativ dem Verteidigungsminister, einem gewählten, zivilen Volksvertreter, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, sich um alles kümmert und die Armee das tun lässt, was sie will. In Frankreich weiß man nicht, was man von den Soldaten halten soll, man wagt nicht einmal ein Possessivpronomen auf sie anzuwenden, das den Schluss zuließe, sie seien die Unsrigen : Man ignoriert sie, fürchtet sie und macht sich über sie lustig. Man fragt sich, warum sie diesen schmutzigen Beruf ausüben, der sie mit Blut und Tod konfrontiert; man vermutet Verschwörungen, ungesunde Gefühlsregungen, schwere geistige Beschränkungen. Man zieht es vor, dass die Soldaten ein wenig abseits sind, unter ihresgleichen in abgeriegelten Stützpunkten in Südfrankreich oder im Einsatz irgendwo auf der Welt, um die Überreste des großen französischen Kolonialreichs zu überwachen, oder dass sie in weißen Uniformen mit Goldlitzen auf blitzsauberen, in der Sonne glänzenden großen Schiffen vor ehemaligen Kolonien in Übersee auf und ab kreuzen, so wie sie es früher taten. Man zieht es vor, dass sie in der Ferne sind, unsichtbar, und dass sie uns nichts angehen. Man zieht es vor, dass sie ihre Brutalität woanders ausüben, in weit entfernten Landstrichen, deren Bewohner so wenig Ähnlichkeit mit uns aufweisen, dass man sie kaum noch als Menschen bezeichnen kann.
    Das war alles, was ich von der Armee hielt, mit anderen Worten, nichts; ich vertrat dieselbe Ansicht wie jene, wie all jene, die ich kannte; bis zu einem Vormittag im Jahr 1991, an dem ich nur die Nase und die Augen unter der Steppdecke hervorlugen ließ, um fernzusehen. Meine Freundin, die sich an mich geschmiegt hatte, streichelte mir sanft den Bauch, und wir sahen uns auf dem Bildschirm am Fußende des Betts den Beginn des dritten Weltkriegs an.
    Wir lehnten uns aus unserem Bildschirmfenster und sahen uns die belebte Straße der Welt an. Wir sahen sie uns an mit der trägen Zufriedenheit, die dem Orgasmus folgt und die es erlaubt, sich was auch immer anzusehen, ohne an etwas Böses oder überhaupt irgendetwas zu denken, die es sogar erlaubt, sich leicht lächelnd mehrere Fernsehsendungen nacheinander anzusehen. Was soll man schon nach einer Orgie tun? Fernsehen. Sich die Nachrichten ansehen in dem faszinierenden Gerät, das Zeit aus Polystyrol produziert, federleicht und von schlechter Qualität, eine synthetische Zeit, die so gut wie es eben geht das ausfüllt, was von der Zeit noch übrig geblieben ist.
    Während der Vorbereitungen zum Golfkrieg und in der Zeit danach, als er schließlich stattfand, sah ich seltsame Dinge; die ganze Welt sah seltsame Dinge. Ich sah sehr viel, denn ich verließ kaum unseren Kokon aus Hollofil, dieses herrliche Erzeugnis der Firma DuPont, eine Chemiefaser mit einfachem Kanal, mit der die Steppdecken gefüllt sind, sie sinken nicht ein und halten schön warm, viel besser als Daunen oder Wolldecken, eine neue Materie, die es endlich erlaubt – ein echter technischer Fortschritt –, lange im Bett zu bleiben und nicht aus dem Haus zu gehen; denn es war Winter, meine berufliche Unverantwortlichkeit hatte ihren Höhepunkt erreicht und ich tat nichts anderes als neben meiner Freundin im Bett zu bleiben, fernzusehen und darauf zu warten, dass unsere Lust wiederkam. Wir wechselten den Bezug der Steppdecke, wenn der Stoff von unserem Schweiß schmierig und von den getrockneten Samenflecken – ich spritzte ziemlich viel Sperma aus, frei nach der Devise: »immer munter drauflos« – rau geworden war.
    Ich sah, aus meinem Kathodenfenster gelehnt, Israelis, die mit einer Gasmaske auf dem Gesicht einem Konzert lauschten, nur der Geiger trug keine und spielte weiter; ich sah den Bombenregen über Bagdad, das märchenhafte grüne Feuerwerk und erfuhr dabei, dass sich moderne Kriege im Bildschirmlicht abspielen; ich sah, wie die grauen, undeutlichen Umrisse von Gebäuden zitternd näher kamen, ehe sie explodierten und von innen mit allen Menschen, die sich darin befanden, zerstört wurden; ich sah, wie große B52 mit Albatrosflügeln in der Wüste Arizona aus ihrer Schutzverkleidung gepellt wurden, wieder zum Einsatz kamen und mit schweren Bomben ausgerüstet wurden, speziellen Bomben je nach Verwendungszweck; ich sah, wie in Mesopotamien Raketen knapp über den öden Boden flogen und mit einem durch den Doppler-Effekt veränderten, lang anhaltenden
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