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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Autoren: Alexis Jenni
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das ist immer so. Das wissen wir. In Kolonialkriegen zählt man nicht die Toten der Gegner, denn sie sind weder Tote noch Gegner: Sie sind ein Geländehindernis, das man überwindet, wie spitze Steine, Mangrovenwurzeln oder Mücken. Man zählt sie nicht, weil sie nicht zählen.
    Nach der Vernichtung der viertgrößten Armee der Welt und den endlos wiederholten dummen Kommentaren der Journalisten waren wir derart erleichtert, fast all unsere Soldaten unversehrt heimkehren zu sehen, dass wir die Toten vergaßen, als habe der Krieg tatsächlich nicht stattgefunden. Die Toten unter den westlichen Soldaten waren Unfällen zum Opfer gefallen, man kannte ihre Namen und würde sich an sie erinnern; die anderen zählen nicht. Erst im Kino habe ich begriffen, dass die Vernichtung von Menschen mithilfe moderner Technik von einem unbemerkten Auslöschen ihrer Seelen begleitet wird. Wenn der Mord keine Spur hinterlässt, verschwindet auch der Mörder; und dann häufen sich Gespenster, die man nicht identifizieren kann.
    An dieser Stelle, an genau dieser Stelle möchte ich einem Mann ein Denkmal setzen. Eine Bronzestatue zum Beispiel, denn Bronzestatuen sind robust, und man kann die Gesichtszüge gut erkennen. Sie sollte auf einem kleinen, nicht zu hohen Sockel stehen, damit sie zugänglich bleibt, und von einer Rasenfläche umgeben sein, auf der man sich hinsetzen darf. Sie sollte mitten auf einem belebten Platz errichtet werden, auf dem die Menschen sich begegnen und in alle Richtungen wieder auseinandergehen.
    Diese Statue würde einen kleinen Mann ohne besondere körperliche Anmut verkörpern, der einen altmodischen Anzug und eine riesige Brille trägt, die sein Gesicht verunstaltet; er muss ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber in der Hand halten, den Kugelschreiber jemandem hinhalten, damit er das Papier unterschreibt, wie bei einer Meinungsumfrage oder einer Unterschriftenaktion auf der Straße.
    Er sieht nach nichts aus, sein Verdienst ist bescheiden, dennoch möchte ich Paul Teitgen ein Denkmal setzen.
    Rein äußerlich hatte er nichts Beeindruckendes. Er war zierlich und kurzsichtig. Als er seine Stelle an der Präfektur von Algier antrat, als er gemeinsam mit anderen Beamten eintraf, um die Verwaltung der französischen Departements in Nordafrika neu zu gestalten, die lange Zeit vernachlässigt, die der Willkürherrschaft aus sowohl individueller wie rassistisch bedingter Gewalt ausgesetzt worden waren, als er also in Algier eintraf, taumelte er beim Verlassen des Flugzeugs wegen der Hitze. Trotz seines tropenfesten Anzugs, den er im Geschäft für Botschafter am Boulevard Saint-Germain gekauft hatte, war er im Handumdrehen schweißüberströmt. Er betupfte sich die Stirn mit einem großen Taschentuch, nahm die Brille ab, um den Beschlag zu entfernen, und sah nichts mehr; nur noch die gleißende Landebahn und ein paar Schatten, die dunklen Anzüge jener, die gekommen waren, um ihn zu empfangen. Er fragte sich zögernd, ob er sich nicht umdrehen und zurückfliegen solle, doch dann setzte er die Brille wieder auf und stieg die Gangway hinab. Sein Anzug klebte ihm im Rücken auf der Haut, und er ging, fast ohne etwas zu sehen, auf dem vor Hitze flirrenden Zementboden davon.
    Er trat sein Amt an und erfüllte es weit über die Grenzen dessen hinaus, was er sich vorgestellt hatte.
    1957 hatten die Fallschirmjäger in Algerien alle Macht. In Algier explodierten jeden Tag mehrere Bomben. Die Fallschirmjäger bekamen den Befehl, dem ein Ende zu setzen. Man sagte ihnen jedoch nicht, wie sie das tun sollten. Sie waren kurz zuvor aus Indochina heimgekehrt und verstanden daher, durch Wälder zu rennen, sich darin zu verstecken, zu kämpfen und auf jede erdenkliche Weise zu töten. Man beauftragte sie damit, dafür zu sorgen, dass keine Bomben mehr explodierten. Man ließ sie zu einer Parade durch die Straßen von Algier marschieren, wo ihnen die Europäer im Gewühle zujubelten.
    Sie begannen, Menschen festzunehmen, fast ausschließlich Araber. Sie fragten die Männer, die sie festnahmen, ob sie Bomben herstellten; oder ob sie Leute kannten, die Bomben herstellten; oder aber, ob sie Leute kannten, die welche kannten und so fort. Wenn man unter Gewaltanwendung viele Menschen befragt, findet man schließlich welche. Man findet schließlich denjenigen, der die Bomben herstellt, wenn man alle Leute unter Gewaltanwendung befragt.
    Um diesen Befehl auszuführen, den man ihnen gegeben hatte, ersannen sie eine Todesmaschine, einen
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