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Die Flucht

Titel: Die Flucht
Autoren: Patrick Ness
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Blick nach unten.
    Da ist Blut auf ihrem Hemd.
    Ihr eigenes Blut.
    Neues Blut.
    Es quillt aus einem kleinen Loch rechts vom Nabel. Sie berührt das Blut und hält die Hand hoch.
    »Todd?«, sagt sie.
    Dann sackt sie zusammen.
    Ich fange sie gerade noch auf, knicke fast unter ihrem Gewicht ein.
    Mein Blick gleitet an ihr vorbei.
    Hinauf zu dem Klippengrat, dort, wo die Straße ist. Und Prentiss junior.
    Auf einem Pferd.
    Mit ausgestrecktem Arm.
    Und einer Pistole in der Hand.
    »Todd?«, murmelt Viola gegen meine Brust gepresst. »Ich glaube, jemand hat mich angeschossen, Todd.«
    Dafür gibt es keine Worte.
    Keine Worte, weder in meinem Kopf noch in meinem Lärm.
    Prentiss junior treibt sein Pferd an und lenkt es den Pfad hinunter.
    Die Pistole ist immer noch auf uns gerichtet.
    Einen Fluchtweg gibt es nicht.
    Und ich habe kein Messer.
    Die Welt breitet sich vor mir aus, deutlich und langsam, wie der schrecklichste Schmerz. Viola atmet schwer gegen meine Brust. Prentiss junior kommt den Pfad entlanggeritten, und mein Lärm brodelt in der Gewissheit, dass wir am Ende sind, dass es diesmal keinen Ausweg gibt, dass, wenn die Welt dich verschlingen will, sie es so lange versucht, bis es ihr gelingt.
    Wer bin ich, dass ich mich dagegen auflehnen kann? Wer bin ich, dass ich es ändern kann, wenn die Welt es doch so offensichtlich will? Wer bin ich, dass ich das Ende aufhalten kann, wenn es doch einfach kommen will?
    »Ich glaube, sie will dich böse haben«, sagt Prentiss Junior hämisch.
    Ich beiße ganz fest die Zähne zusammen.
    Mein Lärm flammt in Rot und Purpur.
    Ich bin verdammt noch mal Todd Hewitt.
    Verflucht, genau der bin ich.
    Ich schaue ihm direkt in die Augen, schleudre ihm meinen Lärm entgegen und knurre heiser: »Es ist angebracht, dass man mich Mister Hewitt nennt.«
    Prentiss junior zuckt zurück, er zuckt tatsächlich zurück. Unwillkürlich zieht er die Zügel an und sein Pferd steigt.
    »Ganz ruhig«, sagt er. Seine Stimme klingt jetzt gar nicht mehr so selbstsicher.
    Und er weiß, dass ich es weiß.
    »Hände hoch«, sagt er. »Ich bringe dich jetzt zu meinem Vater.«
    In diesem Moment tue ich etwas Erstaunliches.
    Etwas so Erstaunliches, wie ich es nie zuvor getan habe. Ich beachte ihn nicht.
    Ich knie mich neben Viola hin.
    »Es brennt, Todd«, sagt sie leise.
    Ich lege sie hin und lasse die Tasche fallen. Ich ziehe mein Hemd aus und presse es gegen das Einschussloch. »Drück es ganz fest dagegen, hörst du?«, sage ich. Mein Zorn ist wie heiße Lava. »Ich bin gleich wieder da.«
    Ich schaue hinauf zu Davy Prentiss.
    »Steh auf«, sagt er. Sein Pferd tänzelt unruhig, meine Zorneshitze macht es nervös. »Ich sage es nicht zweimal, Todd.« Ich stehe auf.
    »Ich sagte, Hände hoch.« Davys Pferd wiehert und stampft.
    Ich gehe darauf zu.
    Schneller.
    Ich renne.
    »Ich erschieße dich!«, ruft Davy und fuchtelt mit der Pistole herum, während er versucht sein Pferd zu zügeln, in dessen Lärm Angriff! Angriff! widerhallt.
    »Nein, das tust du nicht!«, schreie ich und renne direkt vor das Pferd. Mein Lärm brüllt laut: Schlange!
    »Verflucht noch mal, Todd!«, brüllt Davy, während er mit der freien Hand versucht, sein Pferd zu beruhigen.
    Ich versetze dem Tier einen Schlag gegen die Schulter und springe sofort zurück. Das Pferd wiehert und steigt auf.
    »Du bist ein toter Mann«, schreit Davy und dreht sich mit dem Pferd, das ausschlägt und sich aufbäumt, einmal im Kreis.
    »Das stimmt nur zur Hälfte«, sage ich.
    Und dann ist die Gelegenheit da.
    Das Pferd wiehert laut, wirft den Kopf vor und zurück. Ich warte ab.
    Davy zerrt am Zaumzeug.
    Ich weiche aus.
    Ich warte.
    »Scheißpferd!«, schreit Davy.
    Er reißt an den Zügeln.
    Das Pferd dreht sich um die eigene Achse.
    Ich warte.
    Es bringt Davy zu mir, es galoppiert, und er fällt fast aus dem Sattel.
    Und da ist sie, meine Chance.
    Meine Faust wartet auf ihn.
    Wumm!
    Ich treffe ihn mitten ins Gesicht wie mit einem Schmiedehammer.
    Und ich schwöre, ich spüre, wie sein Nasenbein unter diesem Schlag bricht.
    Er schreit auf vor Schmerz und stürzt aus dem Sattel. Die Pistole fällt in den Staub.
    Ich mache einen Satz rückwärts.
    Davys Füße verfangen sich in den Steigbügeln.
    Das Pferd dreht sich um seine eigene Achse.
    Ich schlage ihm aufs Hinterteil, so fest ich kann.
    Und da hat das Pferd genug.
    Es rast den Hügel hinauf zurück zur Straße. Davys Füße hängen in den Steigbügeln fest, er schlägt hart auf den Felsen und der
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