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Die Flucht

Titel: Die Flucht
Autoren: Patrick Ness
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und ich sind jetzt an der Stelle, an der sich der Tunnel öffnet.
    »Aber Gott verlangt nach einem Opfer«, redet Aaron weiter. »Gott will einen Märtyrer. Und wen sollte dieser ganz besondere Junge töten, wenn nicht den Verkünder Gottes höchstpersönlich?«
    »Ich glaube nicht, dass Gott dir auch nur irgendetwas offenbart«, sage ich. »Obwohl ich mir vorstellen kann, dass er nichts dagegen hätte, wenn du tot wärst.«
    Aarons Blick wird so wahnsinnig und leer, dass es mir eiskalt über den Rücken läuft. »Ich werde ein Heiliger sein«, sagt er mit einer Stimme, in der ein Feuer lodert. »Denn dazu bin ich berufen.«
    Er ist am Ende des Mittelgangs angekommen und folgt uns bis hinter die letzte Bankreihe.
    Viola und ich weichen zurück.
    Fast bis zum Tunnel.
    »Aber wie bringt man den Jungen dazu?«, fährt Aaron fort und seine Augen sind wie tiefe Löcher. »Wie macht man ihn zum Mann?«
    Ich kann seinen Lärm lesen, der lauter ist als der Donner. Ich starre ihn mit großen Augen an.
    Meine Eingeweide rutschen nach unten.
    Meine Schultern sacken nach unten.
    Ich fühle mich nur noch schwach.
    Ich sehe es. Es ist ein Wahnbild, eine Lüge, aber die Lügen der Männer sind so klar und deutlich wie ihre Wahrheiten und ich sehe sie in allen Einzelheiten vor mir.
    Er wollte Ben ermorden.
    Und mich auf diese Weise zwingen, ihn zu töten. So wollten sie es machen. Damit ihre Armee vollkommen ist und ich zum Mörder werde, wollten sie Ben ermorden.
    Und ich sollte zusehen.
    Damit mein Hass groß genug sein würde, um Aaron zu töten.
    Mein Lärm brüllt auf. »Du verdammtes Stück ...«
    »Aber dann sandte Gott ein Zeichen«, spricht Aaron weiter und schaut Viola an. Blut fließt aus der Nasenwunde. »Das Mädchen. Ein Geschenk des Himmels.«
    »Schau sie nicht an!«, schreie ich. »Schau sie ja nicht an!«
    Aaron richtet seinen Blick auf mich und grinst. »Ja, Todd, ja«, sagt er. »Das ist dein Weg. Das ist die Bestimmung, der du folgen wirst. Der Junge mit dem mitleidigen Herzen, der Junge, der nicht töten konnte. Um welchen Preis würde er töten? Wen würde er beschützen?«
    Noch einen Schritt zurück, noch einen Schritt näher zum Tunnel.
    »Und als ihre verfluchte, böse Stille unseren Sumpf entweihte, dachte ich zuerst, Gott habe mir jemanden geschickt, den ich opfern könnte, ein letztes Zeugnis des Bösen, das sich überall verbirgt und das ich zerstören und fortwaschen könnte.« Er wirft den Kopf in den Nacken. »Aber dann enthüllte sich mir ihre wahre Bestimmung.« Er schaut Viola an, dann mich. »Todd Hewitt würde die Hilflose beschützen.«
    »Sie ist nicht hilflos«, sage ich.
    »Und dann bist du davongelaufen.« Aaron reißt die Augen auf, spielt den Erstaunten. »Du bist davongelaufen, anstatt deine Bestimmung zu erfüllen.« Er hebt die Augen zur Decke. »Aber damit hast du den Sieg, den wir über dich davontragen, nur größer gemacht.«
    »Du hast noch lange nicht gewonnen«, erwidere ich. »Tatsächlich?« Er lächelt wieder. »Komm, Todd. Komm zu mir, mit Hass in deinem Herzen.«
    »Das werde ich«, sage ich. »Das werde ich.«
    Und mache einen Schritt rückwärts.
    »Du warst schon kurz davor, mich zu töten, kleiner Todd«, sagt Aaron. »Im Sumpf, du hattest das Messer schon erhoben, als ich das Mädchen töten wollte. Aber nein. Du hast gezögert. Du verletzt, aber du tötest nicht. Und dann habe ich es dir weggenommen und du hast es wieder aufgespürt. Ich wusste, du würdest es finden. Du hast Schmerzen erlitten durch die Wunde, die ich dir zugefügt habe, aber auch diesmal: Es hat nicht gereicht. Eher hast du deinen geliebten Hund geopfert, als zuzusehen, wie das Mädchen Schaden nimmt. Du hast lieber zugesehen, wie ich ihm jeden Knochen im Leib gebrochen habe, als deiner wahren Bestimmung zu folgen.«
    »Hör auf!«, schreie ich ihn an.
    Er streckt mir seine offene Hand entgegen.
    »Hier bin ich, Todd«, sagt er. »Erfülle deine Bestimmung. Werde ein Mann.« Er senkt den Kopf, bis mich sein Blick trifft. »Falle.«
    Ich presse die Lippen zusammen, richte mich kerzengerade auf.
    »Ich bin bereits ein Mann«, antworte ich.
    Und mein Lärm sagt dasselbe.
    Er starrt mich an. Er starrt durch mich hindurch.
    Und dann stößt er einen Seufzer aus.
    Als wäre er enttäuscht.
    »Du bist noch kein Mann«, sagt er, und sein Gesichtsausdruck ist völlig verändert. »Vielleicht wirst du nie einer.«
    Ich bleibe stehen.
    »Schade«, sagt er.
    Und er springt auf mich zu.
    »Todd!«, schreit
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