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Heidi und die Monster

Titel: Heidi und die Monster
Autoren: Peter H. Johanna;Geißen Spyri
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Kapitel 1

    »Wann haben die Unaussprechlichen den Wall von Vaduz durchbrochen?«, fragte Barbel, die ihre Jugendfreundin Dete den Bergpfad hinauf begleitete.
    »Den Wall?« Dete stieß ein trauriges Lachen aus. »Glaubst du, ich wäre mit der Kleinen bis zum Dörfli gestiegen, wenn es den Wall noch gäbe?«
    Sie nahm das Kind an die Hand, das in der unerbittlichen Sommerhitze nicht weiter wollte. Die Wangen des Mädchens standen in solcher Glut, dass seine braune Haut flammend rot leuchtete.
    Dete senkte die Stimme. »Kleine Orte wie Vilters und Mels sind rasch gefallen, sogar Heiligkreuz musste aufgegeben werden.«
    »Heiligkreuz auch?« Die gutmütige Barbel war entsetzt und hielt erschrocken die Hand vor den Mund. »Aber hierher verschlägt es sie nicht«, sagte sie ohne rechte Zuversicht. »Hierher nicht.«
    »Die Niänenüütli zieht es dorthin, wo es was zu fressen gibt.« Dete schüttelte den Kopf.

    »Niänenüütli?« 1
    »So nennt man sie im Prättigau.« Dete drehte sich um, da das Kind ihrer Hand entschlüpft war und sich mitten auf den Weg setzte. »Bist du müde, Heidi?«
    »Nein, es ist mir heiß«, entgegnete das Kind.
    »Du hast das Heidi aber auch dick eingepackt«, sagte Barbel.
    »Und sollte ich nicht?« Dete blieb stehen, wachsam gingen ihre Augen umher. »Hat dich ein Niänenüütli erst angefallen, helfen dir nur dicke Sachen. Seide und Spitzenkrägen durchbeißen sie wie nichts, aber Wolle und Filz machen ihnen zu schaffen. Ihre Zähne sind nämlich schlecht. Schon manches Mal bin ich einem nur entschlüpft, weil ich ein dickes Schultertuch in seinem Maul zurückließ.«
    »So macht ihr’s also.« Besorgt schaute Barbel an sich hinunter; in der Wärme trug sie nur ihr leichtes Mieder.
    »Wir sind jetzt gleich oben.« Dete zog das Kind vom Pfad hoch. »Wenn du große Schritte machst, Heidi, haben wir die Alm bald erreicht.«
    Sie waren am Rand der grünen baumreichen Fluren angelangt, wo die Bergriesen groß und ernst auf das Tal niederschauten. Als der Fußweg zu steigen anfing, gab es bald nichts als Heideland. Zwischen kurzem Gras dufteten ihnen kräftige Bergkräuter entgegen.
    »Du bist nicht recht bei Verstand, das Kind zu dem Alten dort oben zu bringen.« Barbel fasste den Weidekorb fester. »Der Öhi wird dich heimschicken mit deinem Vorhaben.«

    »Das kann er nicht, er ist der Großvater«, antwortete Dete. »Ich habe das Kind jetzt lange genug beschützt. Von nun an soll er das Seinige tun.«
    »Ja, wenn er wäre wie andere Leute«, rief Barbel. »Es versteht kein Mensch, was mit dem Alten ist. Mit niemandem will er zu schaffen haben.«
    »Das ist das Klügste, was du in solcher Zeit tun kannst«, sagte Dete. »Man weiß ja schon nicht mehr, wer ist noch Mensch und wen hat das Glaarige 2 schon befallen. Glaub’s oder nicht, ich redete auf der Gasse mit einem gewöhnlichen Scherenschleifer, da fasst er mit eins nach meinem Hals, fletscht mit verfaultem Maul, und die Verwesung, das merkt ich zu spät, hatte ihn schon ganz ergriffen.«
    »Schlimm, schlimm ist es im Tal.« Die breite Barbel schnaufte den Steig hinan.
    »Wird auf der Höhe bald genauso schlimm sein«, erwiderte Dete halblaut.
    »Und du? Wo willst du hin, wenn du das Heidi abgegeben hast?«
    »Nach Frankfurt.« Dete lachte hoffnungsfroh. »Da komm ich in einen guten Dienst, die Herrschaft ist reich und hat Wachmannschaft genug.«
    »Bis Frankfurt willst du?« Barbel hielt erstaunt inne. »Willst dich auf die großen Straßen wagen, wo so viele Pferde und Wagen den Unaussprechlichen bereits in die Hände fielen?«
    »Ich nehm die Eisenbahn.« Mit schärferem Griff zog Dete das Mädchen weiter. »Die Bahnsteige schotten sie vor den Unaussprechlichen ab. Und in Frankfurt haben sie Musketen
und geschliffene Dolche. Die Stadtmauern sind streng bewacht.« Dete kniff die Lippen zusammen. »Ich bleib nicht länger hier.«
    Barbel richtete den Blick zum Schneefeld hinauf. »Wie will der Öhi das Kleine denn schützen? Jahraus, jahrein hat er keinen Fuß mehr in die Kirche gesetzt.«
    Dete bekreuzigte sich. »Weihwasser besiegt einen Niänenüütli nicht, das lass dir sagen. Das Kreuz fürchtet er kaum. Nur die frisch aus den Gräbern Gekrochenen sind dem Kreuze noch untertan. Wenn sie erst einige Zeit wandeln, ist es mit der Macht des Sakraments vorbei.«
    Die Mittageszeit war überschritten, die Sonne stach, dass die Hitze über der Heide flirrte. Drei zottelige Föhren standen zur Linken, die Winterstürme hatten sie schräg
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