Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Heidi und die Monster

Titel: Heidi und die Monster
Autoren: Peter H. Johanna;Geißen Spyri
Vom Netzwerk:
gelegt. Dahinter kamen sie hervor. Es waren sechs, die Pestilenz hatte sich ihrer schon ganz bemächtigt. Welch Bild des Ekels! Leer hingen ihre Augen in den Höhlen, Haut und Fleisch waren gänzlich zerfressen, die Nase existierte nicht länger, durch das Loch sah man den Schädelknochen. Ihre Mäuler bestanden nur aus Zähnen und grauem Kiefer; gierig klappten sie auf.
    »Dreifache Übermacht«, sagte Dete und legte ihr Schultertuch ab. »Bist du in den Todeskünsten bewandert?«
    Kuhäugig schaute Barbel den sechs Niänenüütli entgegen. Je näher sie kamen, desto eiliger stolperten sie, streckten die Arme nach denen aus, die ihnen Beute sein sollten.
    »Todeskunst?«, hauchte Barbel. »Nicht einmal einen Knüppel hab ich dabei.«
    »Dann pass auf das Kind auf.« Dete schob ihr das Mädchen zu.

    In Heidis Augen war keine Angst, nur die Gewissheit, dass die Tante jetzt kämpfen würde. Heidi kannte das Kurzschwert oder Pfyffeli, wie die Männer im Tal dazu sagten, in Detes Hand. Schon warf sie zum Tuch auch die Jacke ab, nichts sollte sie beim Streite behindern. Breitbeinig stellte sie sich so hin, dass die Niänenüütli gegen die Sonne angreifen mussten. Als könnten sie das Gewicht ihrer Körper kaum tragen, taumelten die sechs den steilen Abhang herunter.
    »Kehr ihnen niemals den Rücken zu!«, rief Dete noch, dann schlitzte sie den Vordersten vom Bauch bis zum Brustbein auf. Mehliger Brei quoll ihr entgegen. Mit stieren Augen schaute der Glaarä an sich hinunter, aber fallen wollte er nicht. Mit der freien Hand zog Dete ein Holzscheit aus ihrer Tasche und verpasste ihm einen Hieb, dass der halbe Schädel wegflog. Das setzte ihn außer Gefecht, er brach in die Knie und tastete nach dem fehlenden Teil seines Kopfes.
    »Gib Acht!«, rief Heidi, während Barbel mit offenem Munde zusah, wie die Niänenüütli durchs Heidekraut getorkelt kamen.
    »Danke, Heidi!« Dete fuhr mit dem Kurzschwert herum. »Willst du erfahren, wie das schmeckt?«, rief sie und rammte es dem Glaarä in den Mund, dass die Klinge im Nacken wieder hervortrat. Als er sein grauschwarzes Maul öffnete, riss Dete das Pfyffeli links wieder heraus. Der Schädel des Glaarä klappte zur Seite, darin wimmelte es von Maden und allerlei Ungeziefer. Er fiel hin und blieb liegen. Für den Dritten und Vierten zielte Dete vortrefflich und enthauptete beide mit einem Streich. Da flogen die Köpfe nur so durch die Luft, im kurzen Grase rollten sie bergab, bis sie an einer Mooskuppe ein letztes Mal hochsprangen und in der Tiefe verschwanden.

    »Gut gemacht!« Heidi klatschte in die Hände.
    Barbel aber hatte die Warnung der Freundin vergessen, und so war der kleinste der Glaarä unbemerkt hinter ein Felsstück gelangt, von wo er die schwerfällige Barbel beschlich. Jetzt war er geifernd an ihr und griff sich das mollige Frauenzimmer, dessen Arme und Schultern nackt waren.
    »Gott steh uns bei«, murmelte Barbel und wusste, um sie war’s geschehen.
    Der Niänenüütli krallte sich in ihren Hals, schon spritzte ihm ihr ersehntes Blut entgegen, sodass er das moderige Maul aufriss und von der Fontäne trank. Barbel wurde vom Schock zum Erstarren gebracht; bei wachem Sinn musste sie erleben, wie der Glaarä mit entstelltem Grinsen ihr Ohr abbiss und in einem Stück hinunterschluckte.
    »Stich ihm mit den Fingern die Augen aus!«, rief Heidi. Doch der Rat, den sie von ihrer Tante oft gehört hatte, kam zu spät.
    Die braunen Zähne des Niänenüütli gruben sich in Barbels rosiges Fleisch. Sein Maul war überall, an Brüsten, Hals und Backen wollte er sich delektieren. Schon sank die lebensfrohe Barbel hintüber, ein Stoßseufzer noch, dann raubte der Schmerz ihr die Besinnung. Das Grunzen und Schlecken, das Geräusch, wenn Zähne durch Knorpel knirschen, erfüllte die kleine Wiese.
    Inzwischen hatte Dete keine Mühe, auch den vorletzten Glaarä kopflos zu machen. Vereint lagen die Unaussprechlichen im Gras, und wären sie nicht ohne Schädel gewesen, man hätte sie für sonnenhungrige Wanderer halten können. Dete nahm Heidi an der Hand und zog es von der bedauernswerten Barbel fort.

    »Kannst du ihr gar nicht helfen?«, fragte das Kind.
    »Zu spät.« Die kindliche Hoffnung rührte die Tante. »Sie ist schon eine der ihren.« Mit diesen Worten trennte Dete den Kopf des fressenden Niänenüütli vom Rumpf. Ein Stückchen von Barbel hing ihm noch zwischen den Zähnen. Dete wischte das Kurzschwert im Grase ab, dann setzten sie ihren Weg fort.

Kapitel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher