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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
Autoren: Mike Powelz
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Minnies Hand. „Herzlich willkommen“, sagte sie mit tiefer Stimme.
    Marisabel ergriff das Wort erneut. Sie deutete auf eine auffällig geschminkte Frau zu Angies rechter Seite. „Das ist Bella Schiffer. Sie ist quasi Ihre Vorgängerin, Minnie. Bella war bis gerade die Neue .“
    Die Stimme der Sommersprossigen veränderte sich leicht, als sie Frau Schiffer direkt ansprach. Minnie nahm Spott wahr. „Sehen Sie, Bella, hier in Haus Holle herrscht ein einziges Kommen und Gehen. Plötzlich verschwinden Menschen vom Tisch, und neue Gesichter tauchen auf. Nur ich bin schon vier Monate hier.“
    Minnies Vorgängerin blickte die alte Dame an und begrüßte sie, ohne sich zu erheben. Die Augenbrauen der Vierzigjährigen schienen dick übermalt zu sein. Erst bei genauem Hinsehen erkannte Minnie, dass sie gar nicht mehr existierten. Frau Schiffer hatte sich Haar für Haar ausgezupft, und die leeren Stellen durch zwei symmetrische Linien ersetzt. Ihr dichtes, blondes Haar war im Nacken hochgebunden. Und dann erst die Lippen! Unterhalb der Mundkontur hatte Frau Schiffer die natürliche Lippenfarbe durch ein dezentes Rosa ersetzt, oberhalb jedoch einen dicken Strich gemalt. Dadurch wirkte ihr Mund größer. Außerdem schien sie bereits viel Geld in Schönheitsoperationen investiert zu haben, und war offensichtlich eine fleißige Solarienbesucherin. Die ansehnliche Frau konnte keine Miene verziehen. Ihr Gesichtsausdruck war immer gleich. Minnie tippte auf Botox – ein Mittel, das die Gesichtsmuskeln lähmte und gerade in Mode war. Trotz ihrer zierlichen Figur war Bellas Busen extrem üppig. Auf Minnie wirkte sie wie ein Model mit eingefrorenem Blick. Der Blick der alten Dame blieb lange an ihr haften.
    „Ja, so geht es uns allen“, sagte die sommersprossige Marisabel. „Sie sind eine Augenweide, Bella! Dafür fällt mir kein anderes Wort ein. So jung, so schön, so zauberhaft. Sie machen einer Miss-Wahl-Gewinnerin immer noch alle Ehre, auch wenn Ihr dritter Platz bereits Jahre zurückliegt. Schönheitskönigin bleibt Schönheitskönigin!“
    Die Rothaarige senkte ihre Stimme, bis sie bedeutungsschwanger wurde. Marisabel deutete auf einen Rollstuhl neben der ehemaligen Miss-Wahl-Dritten, in dem eine Gestalt mit schiefem Nacken lag, die derart verkrümmt war, dass sie ihren Kopf nicht mehr erheben konnte. Minnie erkannte, dass er einer jungen Frau mit strähnigen Haaren gehörte, der Schleim aus dem Mund lief. Die krumme Kranke musterte Minnie aus einer mehr als unbequem wirkenden Schieflage. Sie sagte kein einziges Wort.
    „Das ist Sonja Merkel“, sagte Marisabel Prinz bedrückt.
    Minnie war geschockt. Der Kontrast zwischen der schönen Bella und der krummen Sonja hätte nicht größer sein können. Das blühende Leben und der hässliche Tod schienen direkt nebeneinander zu sitzen. Alle Blicke ruhten auf der traurig anzusehenden Gestalt. Nur Angie, die schöne Tatort -Kommissarin, war zu ernst, um dieser Oberflächlichkeit zu verfallen. Die anderen Gäste schwiegen dezent und nippten an ihren Bechern und Schnabeltassen.
    Plötzlich ergriff eine drollige, kleine Dame mit weißen Locken und einem kreisrunden Gesicht das Wort. Sie musterte Minnie mit pfiffig dreinblickenden Augen. „Sonja kann Sie nicht begrüßen, aber sie findet Sie reizend!“ Die gesunde Frau erhob sich und schüttelte Minnies Hand kraftvoll. „Ich bin Sonjas Mutter – Hildegard Merkel!“
    „Hildegard, Ihnen droht bald Ärger“, bemerkte die sommersprossige Marisabel mit einem von Härte geprägten Unterton. „Warten Sie nur, bis man bemerkt, dass Ihr Golf schon wieder die Einfahrt versperrt. Sie wissen schon, wer das nicht ab kann.“
    Hildegard gluckste. „Och, Sie meinen den ollen Knopinski? Dem geige ich mal meine Meinung. Soll ich mit meinen 81 etwa den ganzen Weg gehen, wenn ich schnell zu meiner Sonja will?“
    Marisabel gab sich nicht geschlagen. „Wenn jeder…“ begann sie, doch Hildegard war ihr bereits ins Wort gefallen.
    „Spielen Sie sich mal nicht so auf, Frau Prinz. Ich wünsche Ihnen wirklich nicht, dass Sie so alt werden wie ich – aber dann wüssten Sie, wie sich eine schmerzende Arthrose anfühlt. Meinen Sie vielleicht, dass ich den ganzen Trampelpfad zu Fuß ablaufe? In diesem Fall haben Sie sich geschnitten. Der Knopinski soll mir mal kommen. Denken Sie, ich habe Angst?“ Die alte Dame tätschelte den Kopf ihrer sterbenskranken Tochter. „Nicht aufregen, meine Kleine. Mutter ist hier, und Mutter bleibt hier.“
    „Aber
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