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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
Autoren: Mike Powelz
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der Name wieder abgewischt.“
    Mit seinen Fingern fuhr der Psychologe übe r die glatte Fläche der Tafel: „Auf ihr standen die Namen all derjenigen, die hier schon gelebt haben.“
    „Wie viele Gäste sind das im Jahr?“, fragte Minnie interessiert.
    „100 bis 120“, verriet Dr. Albers leise.
    Das Lachen derjenigen Gäste, die im Esszimmer quicklebendig beim Kaffee beisammen saßen, erklang. Minnie ging den nächsten Schritt.
    Sie betrat das Herz des Hauses. Es war ein riesiges Esszimmer mit einem langen, einladenden Holztisch, an dem viele Menschen speisten. Sie sah zwei kichernde alte Damen, zwei junge Frauen, die Händchen hielten, und einen Koch mit blauen Haaren, der von rechts nach links flitzte. Zum ersten Mal seit ihrem Einzug fühlte sie sich wieder lebendig. Nur eines konnte sie nicht erkennen – wer gesund war und wer nicht.
    Ihr Blick fiel auf das Zentrum des Tisches. Es wurde von einer unglaublichen Himbeersahnetorte und einem französischen Schokoladenkuchen gekrönt.
    „Würde jetzt noch ein Anwesender behaupten, dass er 28 Rezepte für Fischsaucen kennt und anschließend eine Zwergin um die Ecke biegen, die weitere Speisen serviert, würde ich glatt glauben, dass ich mitten in Thomas Manns Roman Der Zauberberg gelandet bin“, sagte Minnie zu Andreas. Doch es tauchte keine kleinwüchsige Dienerin auf. Stattdessen richteten sich alle Augenpaare auf den neuen Gast, und nach einer kurzen Pause ergriff eine rothaarige, mit unzähligen Sommersprossen übersäte Frau um die Sechzig das Wort. Sie saß am Kopfende des Tisches und wurde von imposanten Sprossenfenstern eingerahmt.
    „Willkommen“, sagte die Rothaarige. „Setzen Sie sich. Die Sahnetorte ist fantastisch!“
    Sie deute auf einen freien Platz zu ihrer Linken, und musterte Minnie mit blassblauen Augen. Anders als die anderen Kaffeegäste, die ihre heißen Getränke wahlweise aus Bechern oder Schnabeltassen tranken, nippte die Rothaarige an einer mit Hunden bedruckten, filigranen Porzellantasse. Minnie nahm die freundliche Einladung an, während sich Dr. Albers einen freien Platz am anderen Ende der Tafel suchte.
    Die Rothaarige stellte sich vor.
    „Ich bin Frau Prinz, nochmals Herzlich Willkommen . Sie dürfen mich Marisabel nennen.“
    „Ein schöner Name“, bemerkte Minnie. „Ich bin Minnie.“
    Die alte Dame musterte die bunte Runde. Gegenüber saß Professor Pellenhorn, der Minnie bei genauerem Hinsehen noch stärker an einen Buddha erinnerte als bei ihrer ersten flüchtigen Begegnung vor eine Stunde. Der ALS-Kranke wurde von einer weißhaarigen Dame, die augenscheinlich seine Gattin war, gefüttert. Er gluckste und blinzelte Minnie schelmisch zu.
    „Wiiiikommme!“, sagte er stoßweise. Minnie nickte ihm zu und blickte in die freundlichsten Augen der Welt.
    „Es ist ja immer etwas schwer, wenn man neu zu Menschen stößt, die schon seit Wochen eine Art Clique gebildet haben“, riss sie die Stimme von Frau Prinz in die Wirklichkeit zurück. Minnies sommersprossige Sitznachbarin schnippte pausenlos mit ihren rotlackierten Fingernägeln gegen ihre Porzellantasse, und sagte: „Am besten spiele ich mal die Gastgeberin und stelle Ihnen die anderen Gäste vor. Diese Rolle hat mir schon immer gelegen. Außerdem bin ich diejenige, die am längsten hier wohnt. Das glaube ich zumindest.“ Ihre Hände deuteten auf den in sich ruhenden Mann im Rollstuhl. „Das ist Professor Pellenhorn. Sie dürfen ihn bestimmt Berthold nennen – nicht wahr, mein Lieber?“
    Der ALS-Kranke nickte zustimmend, und blinzelte mit den Augen.
    „Neben Berthold sitzt unsere liebe Annette. Sie genießt bereits ihr zweites Stück Schokokuchen. Annette! Nicht dass Du noch aus allen Nähten platzt!“ Minnies Augen wanderten zu einer jungen, kraushaarigen Frau, die sie verbindlich angrinste, sich dann erhob und ihr eine kalte Hand reichte. Ja, Annette Müller war dünn, beinahe zu dünn, aber durchaus fröhlich und gutgelaunt. In ihrer Nase steckte ein Plastikschlauch.
    Selbstsicher fuhr Marisabel fort. „Die ansehnliche junge Dame neben unserer lieben Annette ist ihre frisch angetraute, wunderschöne Ehefrau Angie.“ Annette und Angie hielten Händchen. Eigentlich hätte Marisabel gar nicht erwähnen müssen, wie blendend Angie aussah. Das hatte Minnie auf den ersten Blick gesehen. Neu hingegen war die Erkenntnis, dass die schöne Frau, die sie optisch an die Tatort -Kommissarin Ulrike Folkerts erinnerte, sehr traurig und ernst dreinblickte.
    Angie ergriff
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