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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
Autoren: Mike Powelz
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nur, wenn Du es heil bis hierher schaffst, Hildegard“, sagte die schwarzgelockte Annette grinsend und schob den Plastikschlauch in ihrer Nase in eine augenscheinlich bequemere Position. „Heute bist Du beim Einparken vor dem Haus schon wieder gegen den Poller gefahren! Stimmt’s, Dr. Albers?“
    Der Psychologe hatte Minnies Begrüßung schweigend verfolgt. Nun ergriff er erstmals das Wort. „Ja, Annette. Wenn Mutter Merkel weiterhin bis vor das Haus fährt, blockiert sie leider unsere Einfahrt. Dann haben wir ein Problem, wenn mal ein Krankenwagen gerufen werden muss.“ Er wandte sich direkt an Sonjas Mutter. „Kürzlich wollte Herr Knopinski in die Stadt fahren, aber Ihr Golf hat die Ausfahrt versperrt. Der Arme musste sich ein Taxi rufen.“
    „Der Arme?“, rief Hildegard. Ihrem Mund entwich ein missbilligender Ton. „Der ist alles andere als arm!“
    „Am besten reden wir später darüber“, schlug der Psychologe vor und schaute Frau Prinz an. „Möchten Sie unserem neuen Gast nicht die restliche Runde vorstellen?“
    „Das übernehme ich gern, um es abzukürzen“, sagte Annette Müller fröhlich, und fummelte erneut an ihrem Nasenschlauch herum. „Liebe Minnie, links neben Ihnen sitzt Omi . Zu ihr möchte ich zwei Dinge anmerken: Erstens ist Omi nur der selbstgewählte Name von Klärchen Krause und zweitens kann sie Berge verschlingen.“
    Minnie war ihre Tischnachbarin schon vorher aufgefallen, die anders als die leicht zimperlich wirkende, rothaarige Marisabel klein, sch mächtig und erschrocken wirkte. „Ich muss mich doch aufpäppeln“, sagte Omi, deren Alter schwer zu schätzen war. „Ich brauche doch Substanz. Zucker tut mir gut, genau wie Fett. Oder eine schöne Suppe – aber nicht bloß mit Spargel drin… Ich muss doch viel futtern, stimmt’s, Dr. Albers?“ Die Stimme der spindeldürren Frau klang alarmiert. Hoch und schrill durchschnitt sie die Luft.
    Minnie fixierte Frau Krause genau. Omi war nicht nur zerbrechlich, sondern obendrein winzig. Nun richtete sie das Wort an den neuen Gast. „Wissen Sie, bei mir haben die Ärzte unnötig Alarm geschlagen. Ich bin vorübergehend hier. Spätestens wenn wieder Blätter an den Bäumen sind, werde ich bereits zuhause sein. Ich habe nämlich noch vieles vor. Ich will noch viele Jahre auskosten. Im Krankenhaus wollte man mich nicht mehr haben. Und das Klinikessen war wirklich miserabel. In Haus Holle kann ich endlich wieder zuschlagen und neue Kraft tanken. Solange ich esse, geht’s mir gut.“
    „Dass es Ihnen gut geht, sehen wir“, sagte Marisabel zu Omi. „Schließlich tragen Sie heute blond.“
    Fragend sah Minnie die spindeldürre Dame an. „Frau Prinz hat recht“, entgegnete Omi und gönnte sich einen Löffel voller Schlagsahne.
    „Das muss ich Ihnen näher erklären, liebe Minnie“, meinte Annette und spielte mit ihrem Plastikschlauch. „Omi hat einen Spleen. An guten Tagen trägt sie eine blonde Perücke, an schlechten Tagen eine schwarze…“
    „… und an Tagen, an denen ich selbst nicht weiß, wie es mir geht, trage ich dieselbe Farbe wie Frau Prinz – knalliges Rot“, vollendete Omi den Satz.
    „Ihre Idee mit den Perücken ist kein Spleen, sondern eine gute Idee, Frau Krause“, meinte Dr. Albers. „Doch wir wollen unseren letzten Gast nicht vergessen. Wer stellt Herrn Montrésor vor? Der Blick des Psychologen richtete sich auf einen Herrn um die Sechzig, der bisher geschwiegen hatte und das Wort ergriff. Er gehörte zu jener Sorte Männer, die den Verlust ihres Deckhaars nicht verkraftetet hatten, und ihre Glatze tarnten, indem sie die Seitenhaare lang wachsen ließen, um sie anschließend über den ganzen Kopf zu wickeln.
    „Angenehm, Adolf Montrésor, 61. Ich bin immer zur Vorsorge gegangen. Aber dass dieser Kackkrebs schon lange in meinen Eiern wächst, haben die klugen Doktoren übersehen. Jetzt ist eins von ihnen so groß wie ein Tischtennisball. Möchten Sie sonst noch was wissen?“
    Minnie schwieg betreten.
    „Vielleicht sollten Sie Minnie davor warnen, dass Sie den ganzen Tag rauchen, Adolf“, wetterte die sommersprossige Marisabel und knallte ihre Hundetasse auf den Tisch. „Und dass dieses Qualmen nicht mal nachts aufhört. Ständig zieht der Rauch zu mir hoch.“ Gequält sah sie Minnie an. „Ich wohne direkt über diesem Herrn - in Zimmer 9. Glauben Sie mir, bei mir stinkt es ständig nach Nikotin.“
    „Das kann auch von uns kommen.“ Annette nahm Adolf  in Schutz.
    „Nein, ich habe das
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