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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit
Autoren: Hakan Nesser
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Ungefähr so.
     
     
    Verhält es sich heute noch.
    Sie gehen nie zusammen aus, Birthe und Maertens. Nicht ins Theater. Nicht ins Kino und nicht in Konzerte, nicht einmal einen gemeinsamen Restaurantbesuch gönnen sie sich. Der gemeinsame Nenner für ihre Beziehung ist von anderer Art.
    Die Fleischeslust. Das Bedürfnis zu bumsen. Manchmal spürt man die Neigung, die Dinge beim rechten Namen zu nennen, zumindest was Maertens betrifft. Aus diesem Grunde treffen sie sich ab und zu, mal daheim bei ihm, mal daheim bei Birthe. Sie essen eine Kleinigkeit, schauen eine Weile Fernsehen, und dann gehen sie ins Bett. Das ist in Ordnung so, und auch hiervon hat er kein bewusstes Bild.
    In dieser Art geht es nun seit zehn Jahren, und eine andere Frau hat Maertens sich nicht angeschafft. Der Gedanke taucht manchmal in seinem Kopf auf, wie Gedanken es halt so tun, aber er erscheint nie besonders wichtig. Nicht dringend. Wie es bei Birthe mit anderen Männern aussieht, das weiß er nicht. Er nimmt an, dass es einfach keine Bedeutung für ihn hat, zumindest redet man sich so etwas gern ein. Sie existieren füreinander nur während der Zeit, in der sie zusammen sind, vielleicht sollte man die Sache so betrachten, wenn man sie überhaupt betrachtet.
    Und nichts ändert sich. Alles geht seinen Gang ... obwohl möglicherweise ...
    ...möglicherweise hat er eine kleine Besonderheit bemerkt  – ein gewisses zunehmendes Interesse für religiöse Fragen von Birthes Seite aus in der letzten Zeit. Das wäre das Einzige, und ein gewisses Maß an Spiritualität hat sie ja eigentlich immer schon gepflegt, oder? Eine Art Beseeltheit, die nie Nahrung in ihrer Beziehung gesucht hat, jedenfalls nicht, soweit er sich erinnern kann. Auf jeden Fall hat er seit Mitte November ab und zu kleine Heftchen in ihrer Wohnung bemerkt. Pamphlete verschiedener Sekten – besonders von einer Versammlung, die sich die Kirche des Reinen Lebens nennt, was immer das auch sein mag.
    Er hat die Sache so nebenbei angesprochen, doch, das hat er gemacht, aber keine richtige Antwort bekommen. Überhaupt reden sie selten über etwas Wesentliches, es ist, wie es ist. Eine wichtige Voraussetzung für ihr gemeinsames Sexualleben scheint zu sein, dass sie alles andere außen vor lassen. Alles. Besonders Maertens respektiert das eigentlich immer als eine Art Grundbedingung, und wenn Birthe es damit nicht ganz so genau nimmt, dann kann es ihm eigentlich egal sein. Sie ist auch, wie sie ist, mit einem Parfüm ist sie sicher gut bedient, man kann nicht erwarten, dass ein Mensch allen Anforderungen gerecht wird, nur weil jemand auf die Idee kommt, sie an ihn zu stellen.
    Aber das Reine Leben?
     
     
    Es geht auch an diesem Abend gut.
    Sie essen Lammkoteletts, dann waschen sie gemeinsam ab. Hinterher sitzen sie auf Birthes Sofa und schauen Fernsehen. Er weiß, dass sie sich wie gewöhnlich den Slip ausgezogen hat. Sie macht einige unmotivierte Bewegungen mit den Beinen, so dass ihr Kleid langsam, wie zufällig, ein gutes Stück über die Knie hoch rutscht. Die Bilder auf dem Fernsehschirm nehmen sie immer mehr gefangen, und als er ihr die Hand auf die Schenkelinnenseite legt, schiebt sie den Unterleib vor, so dass seine Finger sogleich mit ihrem feuchten Schritt in Berührung kommen. Sie starrt vollkommen konzentriert auf eine Ansagerin, als hätten ihre obere und untere Körperhälfte keine Verbindung mehr miteinander. Eine Art Kurzschluss, ein Kollaps der Synapsen, die Seele löst sich vom Fleisch, erhaben, befreit und auf das Fernsehen gerichtet. Das ist verrückt, und eine Sekunde lang ist es ihm peinlich, dass es ihm gefällt.
    Sie schlafen miteinander – lieben sich, wenn man so will – dort auf dem Sofa, während der Fernseher läuft. Hinterher gehen sie ins Bett und machen es noch einmal.
    Dann schlafen sie bis zum nächsten Morgen. Er wacht davon auf, dass sie im Bett sitzt und ihn ansieht.
    »Was ist das?« Sie tupft vorsichtig auf den schmerzhaften Fleck unterhalb seiner linken Brustwarze. Es ärgert ihn ein wenig, dass es ihm nicht gelungen ist, ihn zu verbergen.
    »Ein Muttermal. Das weißt du doch.«
    »Ein Muttermal? Nennst du das hier ein Muttermal? Das ist doch ganz weich und merkwürdig.«
    Er zieht die Decke hoch.
    »Maertens!«
    Er dreht sich weg und wünscht sich nichts sehnlicher, als woanders zu liegen. In seinem eigenen Bett oder wo auch immer. In einem Graben, in einem Wald, ganz gleich, wo. Die Fleischeslust kann diesen Preis einfach nicht wert
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