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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre
Autoren: Koonchung Chan
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stellte mich noch am Telefon ein. So verließ ich Amerika und kam nach New York.
    Die Overseas Chinese Gazette hatte nur eine winzige Auflage und war außerhalb von Chinatown gar nicht zu bekommen. Ich blieb ihr mehrere Jahre treu, wurde dabei jedoch mit der Zeit immer frustrierter. Schließlich fühlte ich mich so miserabel, dass ich wieder mit dem Schreiben anfing. Das Ergebnis war mein Studentenroman Mit dem letzten Greyhound aus Manhattan, der mir unverhofften Erfolg bescherte. Ich benutze darin die Erzähltechnik des Stream of consciousness, und ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie ich das damals eigentlich zustande gebracht habe. Taiwan ist schon eine Klasse für sich; dass dort so viele Menschen mein Buch lesen würden, damit hätte ich nie gerechnet. Kaum jemand weiß, dass es sich dort über die Jahre hinweg bis heute gut einhunderttausend Mal verkauft hat. Es macht sich ja leider niemand die Mühe, eine ewige Bestsellerliste für Taiwan aufzustellen.
    Während meiner Zeit in New York bereiste der Großmeister des chinesischen Kung-Fu-Romans, Louis Cha, die USA und ich interviewte ihn für die Gazette. Zu meinem Glück waren seine Bücher kurz zuvor in Taiwan vom Index genommen worden, sein Name war nun in den Medien nicht länger tabu. Die United Daily News, eine der größten Tageszeitungen, druckte mein Interview ebenfalls und erntete viel Zuspruch dafür; im Zuge dessen wurde auch mein Name ein Begriff.
    Auch Cha gefiel das Interview. Er wusste, dass ich in Hongkong geboren war und Kantonesisch sprach. Er bot mir eine Stelle bei Ming Pao an, dem von ihm gegründeten Zeitungsverlag. Ich gab meinen Job in den USA auf und ging nach Hongkong, wo man mich mit der Chinaberichterstattung für das Kulturmagazin von Ming Pao betraute. Ab Mitte der achtziger Jahre bis Anfang der Neunziger interviewte ich eine ganze Reihe chinesischer Künstler und Autoren der alten Garde und baute gute Kontakte in die Kulturszene des Festlands auf. Es waren eine Menge äußerst bemerkenswerte Begegnungen darunter und ich lernte viele kostbare Lektionen über dieses Land. 1992 zog sich Louis Cha aus dem Geschäftsleben zurück. Zur selben Zeit suchte die United Daily News einen neuen Redakteur für den Festlandteil. Außerdem teilte mir meine aus Peking stammende Freundin mit, dass sie ins Ausland gehen würde, was so viel bedeutete wie: Sie wollte sich von mir trennen. Ich entschloss mich zur Rückkehr nach Taiwan.
    Während meiner Zeit bei United Daily News ging ich meine bisher veröffentlichten Artikel durch und ordnete sie. Ich hatte vor, eine Interviewsammlung mit den Kulturgrößen Chinas herauszubringen. Es wäre – so glaubte ich damals – das wichtigste Werk meines Lebens. Ein Großteil der Interviewten war schon hoch betagt, viele von ihnen lebten nicht mehr, sodass meine Interviews mit ihnen als ihr Schwanengesang gelten konnten, dessen Wert über die bloßen Worte hinausging. Vielleicht war ich einfach zu langsam. Als ich mit meiner Überarbeitung fertig war und Für die Nachwelt: Einsichten der großen Künstler Chinas endlich erschien, hatte es seine Zeit bereits verpasst. Das gesellschaftliche Klima in Taiwan hatte sich verändert; selbst bei Kingstone, dem geisteswissenschaftlichen Buchladen des Landes, verkaufte sich der Titel nur mäßig. In der United Daily News gab es eine kurze Rezension, dann wurde es still um das Buch. Mit Lee Teng-huis Amtsantritt als Präsident 1988 begann das immer heftigere Ringen um die nationale Identität, und die Taiwaner sorgten sich eher um einen möglichen Krieg mit dem Festland als um dessen kulturelles Erbe.
    In Verlagskreisen festigte ich mit dem Buch meinen Ruf als Chinaexperte, als Autorität in Sachen Festland, als Fachmann fürs Reich der Mitte. Kurz gesagt: Kein Mensch interessierte sich für mich.
    Ich fühlte mich in meinem Stolz verletzt. Das Desinteresse ringsum wurde zu meinem Ansporn, es allen zu zeigen. Wenn es mir nicht vergönnt sein sollte, einen Klassiker zu schaffen, dann würde ich eben Bestseller produzieren! Damals waren gerade Analysen eines möglichen Krieges in der Taiwanstraße gefragt, und so begann ich mit der Recherche über das chinesische und taiwanische Militär und überlegte mir, welche Perspektive ich anbieten sollte. Doch nach einer Weile wurde mir klar, dass es zwecklos war. Es gab schon zu viele Bücher, die auf derselben Welle mitschwammen. Damals lernte ich jedoch eines: Wer den Zeitgeist für sich nutzen will, muss schneller sein
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