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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre
Autoren: Koonchung Chan
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Verlag älteren Mitarbeitern den vorgezogenen Ruhestand an. Ich war so taktvoll, das Angebot anzunehmen, bekam meine Pension ausgezahlt und zog als freier Autor nach Peking.
    Anfangs verspürte ich noch einen gewissen Schaffensdrang und stürzte mich auf sämtliche Aufträge. Für chinesische Zeitschriften schrieb ich über die Kulturszene Hongkongs und Taiwans und für die Medien von dort über Peking und Shanghai. Ich hatte gut zu tun: Zeitschriften gab es auf dem Festland en masse und in Hongkong und Taiwan bekam man nicht genug von den großen chinesischen Boomtowns. Pünktlich zur Olympiade erschien dann zudem mein kultureller Reiseführer Eintauchen ins alte Peking, der sich zwar in Taiwan und Hongkong eher mittelmäßig, auf dem Festland jedoch bestens verkaufte und ein großes Medienecho hervorrief. Mir wurde sogar die Anerkennung der Partei zuteil: Ein Abteilungsleiter vom Amt für Presse und Publikationen, der sich auch in der taiwanischen Kulturszene auskannte, schlug mich mit Erfolg für den Staatspreis zweiter Klasse für kulturelle Veröffentlichungen vor, was mir wiederum einige Interviews im Staatsfernsehen einbrachte.
    Ich hatte alles erreicht, was ich mir zum Ziel gesetzt hatte. Jetzt blieb nur noch eines: gemütlich einen schönen, großen Roman zu schreiben, meinen Ulysses, mein Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. In diesem Zeitalter mangelnder Erstklassigkeit wollte ich beweisen, dass ich unter den Zweitklassigen der Beste war. Ich nahm keine weiteren Aufträge mehr an, um mich voll und ganz diesem Werk widmen zu können.
    Ich brachte nicht eine Zeile zu Papier.
    Wovon ich lebte? Ist doch unwichtig. Nur so viel: Um meinen Lebensunterhalt brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. In der westlichen Philosophie heißt es, Glück und Geld sei eines gemeinsam: Von beidem sollte man nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel haben. Ich lebte nicht etwa von meinen Autorenhonoraren und Tantiemen – denn viel kam dabei eh nicht zusammen. Zu Geld war ich auf ganz andere, unerwartete Weise gekommen: Anfang der neunziger Jahre, als ich noch bei der Ming Pao arbeitete, hatte ich eine Zeit lang vorgehabt, meine damalige Freundin zu heiraten, und deshalb eine Neunzig-Quadratmeter-Wohnung in Kornhill gekauft. Sie aber ließ mich sitzen, ging nach Deutschland und heiratete einen anderen, während ich die Wohnung vermietete und nach Taipeh zurückkehrte. In den darauf folgenden Jahren stellte ich bei der Verlängerung des Mietvertrags jedes Mal erstaunt fest, dass Immobilienpreise und Mieten in Hongkong unaufhaltsam in die Höhe schossen. 1997, kurz vor der Rückgabe Hongkongs an China, verkaufte ich die Wohnung. Ihr Wert hatte sich innerhalb weniger Jahre beinahe verzehnfacht. Diese Wohnung brachte mir auf einen Schlag mehr ein als mein ganzes bisheriges Berufsleben. Als kurz darauf während der Asienkrise der Taiwan-Dollar auf Talfahrt ging, lag mein Vermögen sicher bei einer Hongkonger Bank. Als ich 2004 nach Peking zog, kaufte ich drei kleine Appartements im Happy Village II, wenige Monate, bevor es Ausländern, einschließlich Taiwanern, gesetzlich verboten wurde, im Inland mehr als eine Wohnung zu erwerben. Eines der Appartements bewohnte ich selbst, die beiden anderen hatte ich vermietet. Die Miete ging in Renminbi auf mein Konto und ich profitierte sogar noch von der ständigen Wertsteigerung der chinesischen Währung. So hatte ich auch in Krisenzeiten ein sorgenfreies Auskommen.
    Das erklärt freilich alles noch nicht, warum ich in den vergangenen zwei Jahren nicht einen Satz zu Papier gebracht hatte. Als ich 2004 nach Peking kam, ging es mir wirtschaftlich bereits sehr gut, und dennoch schrieb ich, wann immer sich die Gelegenheit bot. Der Grund, warum ich damit aufhörte, war ein anderer: Ich hatte das Gefühl dafür verloren. Ungefähr mit dem Beginn der Feuer-und-Eis-Periode der Weltwirtschaft, wie diese Zeit offiziell genannt wurde, und dem Anbruch des Goldenen Zeitalters in China, also seit etwas mehr als zwei Jahren. In Peking und überall sonst im Land sah man auf einmal nur noch glückliche Menschen, und auch ich selbst war erfüllt von tiefer Zufriedenheit und einer Leichtigkeit sondergleichen. Ich war noch nie so rundum glücklich gewesen. Es war dieses Glücksgefühl, das mich am Schreiben hinderte.

Ein schlafloser Staatsmann
    Seit fast zwei Jahren besuchte ich an jedem ersten Sonntagabend im Monat Jian Lin in seiner Firma, Neujahr und andere Feiertage ausgenommen. In einem kleinen
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