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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre
Autoren: Koonchung Chan
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meine Bücher, sondern referierten lieber über den Börsengang ihres Konzerns. Von Zeit zu Zeit hatte ich – als ortsansässiger Kulturschaffender aus Taiwan – auch Gelegenheit, Funktionäre des Amts für Presse- und Publikationswesen, des Kultusministeriums, des Büros für Taiwan-Angelegenheiten oder der Chinesischen Einheitsfront zu treffen. Funktionärsposten waren heutzutage begehrter denn je. Wer einen ergattert hatte, legte daher ein entsprechend unbescheidenes Gebaren an den Tag – ganz gleich, um was für einen Posten es sich handelte. Solange man ihre Vormachtstellung nicht in Frage stellte, waren diese Funktionäre dem kleinen Bruder Taiwan durchaus wohlgesonnen.
    Ich bin zwar in Hongkong geboren und in Rennie’s Mill zur Grundschule gegangen, bevor ich mit meinen Eltern nach Taiwan zog, aber ich habe mich selbst immer als Taiwaner betrachtet. Schon als Kind las ich für mein Leben gern, und während meiner Highschool-Zeit fasste ich den Entschluss, Schriftsteller zu werden. Als der Wechsel an die Universität anstand, fiel meine erste Wahl auf ein Studium der Literaturwissenschaft an der renommierten National Taiwan University, schließlich hatten dort schon Größen wie Bai Xianyong studiert. Alternativ kam auch Anglistik in Frage, denn die hatte immerhin Lin Wenyue hervorgebracht. Meine Noten reichten jedoch weder für das eine noch für das andere, und so landete ich am Institut für Journalistik der Chinese Culture University. Im zweiten Jahr dort schrieb ich eine Kurzgeschichte mit dem Titel Frühling in Rennie’s Mill und gewann damit den zweiten Platz beim Literaturwettbewerb der Central Daily News, der damals größten Tageszeitung Taiwans. Mir war klar, dass ich den ersten Platz nur deswegen nicht bekam, weil ich an keiner der Eliteunis studierte.
    Also machte ich es wie Chen Yingzhen und verarbeitete meine Frustration zu einer satirischen Erzählung, in der ich mit den herrschenden Verhältnissen ins Gericht ging. Sie hieß Ich wandere aus! und kam unter meinen Kommilitonen ziemlich gut an, insbesondere beim weiblichen Publikum. Wegen ihres kritischen Inhalts wagte ich jedoch nicht, sie zu publizieren. Die sich gerade formierende politische Opposition hielt mich nun für einen der Ihrigen und hätte mich gerne für ihre Zwecke eingespannt. Das schmeichelte mir zwar, aber ich lehnte ab – meine Eltern hatten hart gearbeitet, um mir das Studium zu ermöglichen; ich durfte meinen Studienplatz nicht aufs Spiel setzen. Ich musste an meine Zukunft denken. Als meine Geschichte dann 1988 – nach der Aufhebung des Zeitungsverbots – doch noch in der New Life Evening Post erschien, war ihre Halbwertszeit längst überschritten. Die jungen Leute verstanden nicht mehr, was ich darin eigentlich kritisierte.
    Nach meinem Abschluss zog es mich in die USA, an eine der bekannten Journalistenschmieden wie die University of Missouri oder die Columbia University, doch meine Bewerbungen dort blieben erfolglos. Und selbst wenn man mich genommen hätte – ohne ein Stipendium hätte ich mir das Studium im Ausland ohnehin nicht leisten können. Doch ich hatte Glück: Meine Mutter hatte damals in Rennie’s Mill bei der örtlichen Kirchengemeinde als Köchin gearbeitet. Der Benediktinerpriester dieser Gemeinde besuchte uns während eines Aufenthalts in Taiwan. Er arbeitete inzwischen an der St. John’s Catholic University – einer Hochschule im Mittleren Westen der USA – als Leiter des Studentenbüros. Es war nicht schwer für ihn, für meine Aufnahme in den Masterstudiengang Literaturwissenschaft zu sorgen, inklusive Stipendium. Umgeben von endlosen Maisfeldern und Kuhweiden paukte ich also Englisch und las Romane. Ich verschlang die Hardboiled-Detektivgeschichten von Raymond Chandler und Dashiell Hammett und schrieb meine Abschlussarbeit über die Figur des Charlie Chan von Earl Derr Biggers und die Logik des Kriminalromans in Ost und in West. Ich arbeitete ein ganzes Jahr daran, verließ kaum die Bibliothek und machte die Sommerferien durch, bis ich endlich mein Examenszeugnis in Händen hielt.
    Als ich in der Universitätsbibliothek zufällig einmal in einer Ausgabe der Hongkonger Zeitung The Star blätterte, erfuhr ich von einem chinesischen Unternehmer, der in New York eine Zeitung für die chinesischsprachige Bevölkerung herausbringen wollte. Sein Assistent war damals in der Jury des Literaturwettbewerbs gewesen, bei dem ich den zweiten Platz belegt hatte. Ich machte ihn ausfindig, rief an, und er
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