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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen
Autoren: Jules Verne
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schienen. Erregbarer als Joann und minder Herr des eigenen Urtheiles, ließ er sich von den Instincten der Kindesliebe willenlos hinreißen. Er blieb eben gefesselt durch jene Bande des Blutes, welche die Natur so schwer löslich gemacht hat. Er wollte seinen Vater öffentlich vertheidigen. Als er die über Simon Morgaz geführten üblen Nachreden vernahm, drohte ihm das Herz zu zerspringen, und seine Mutter mußte ihn zurückhalten, um einen Scandal zu verhüten. So lebte die unglückliche Familie unter einem angenommenen Namen in Verchères – aber in tiefem moralischen und materiellen Elende, und man weiß nicht, zu welchen Excessen sich die Einwohnerschaft des Fleckens hätte hinreißen lassen, wenn ihre Vergangenheit zufällig entschleiert worden wäre.
    So war in ganz Canada, in den Städten wie in den erbärmlichsten Dörfern, der Name Simon Morgaz zum entehrenden Schimpfworte geworden. Man stellte ihn ohne Bedenken mit dem eines Judas zusammen oder speciell mit den Namen Black’s und Deins’ de Vitré, welche in der Sprache der französischen Canadier schon längst mit der Bezeichnung Verräther gleichbedeutend waren.
    Im Jahre 1759 nämlich hatte dieser Deins de Vitré, ein Franzose, die Infamie begangen, der englischen Flotte nach Quebec hinein als Lootse zu dienen und Frankreich dadurch diese Hauptstadt zu entreißen, und 1757 hatte jener Black, ein Engländer, den proscribirten Amerikaner Mac Long, der sich ihm anvertraut und der an der Bewegung der Canadier theilgenommen hatte, seinen Feinden ausgeliefert. Der edle Patriot war gehenkt worden, und dann schnitt man ihm noch den Kopf ab und verbrannte seine Eingeweide, die aus dem Cadaver gerissen worden waren.
    Wie man nun früher Black und Vitré gesagt hatte, so sagte man jetzt auch Simon Morgaz – drei Namen, welche dem öffentlichen Fluche verfallen waren.
    In Verchères fingen die Bewohner jedoch bald an, sich über die Anwesenheit dieser Familie, deren Herkunft Niemand kannte, über deren geheimnißvolles Leben, über das Incognito, welches sie zu bewahren liebte, ernsthafter zu beunruhigen. Allmählich häufte sich gegen dieselbe ein gewisser Verdacht an, und eines Nachts wurde der Name Black an die Hausthüre Simon Morgaz’ geschrieben.
    Am folgenden Tage hatten seine Frau, die beiden Söhne und er Verchères verlassen. Nach Ueberschreitung des St. Lorenzo ließen sie sich einige Tage in einem der Dörfer des linken Stromufers nieder; dann als die Aufmerksamkeit der Leute sich mehr auf sie lenkte, vertauschten sie dieses mit einem anderen. Es war nur noch eine umherirrende Familie, an deren Sohlen sich die allgemeine Verwünschung heftete. Man hätte sagen können, daß die Göttin der Rache, eine lodernde Flamme in der Hand, sie ebenso verfolgte, wie in der biblischen Legende den Mörder Abel’s. Da Simon Morgaz und die Seinigen nirgends festen Fuß zu fassen vermochten, durchzogen sie nacheinander die Grafschaften Assomption, Terrebonne, Deux Montagnes und Vaudreuil und gelangten so immer weiter nach Westen, in dünner bevölkerte Gegenden, wo ihnen endlich aber doch der wahre Name ins Gesicht geschleudert wurde.
    Zwei Monate nach dem Urtheilsspruche vom 25. September hatten der Vater, die Mutter, Joann und Johann bis in die Gebiete von Ontario flüchten müssen. Von Kingston, wo sie in dem Gasthause, das ihnen Unterkunft gewährt hatte, erkannt wurden, mußten sie auf der Stelle weiter wandern. Simon Morgaz gewann kaum Zeit, unter dem Schutze der Nacht zu flüchten. Vergebens hatten Bridget und Johann sich bemüht, ihn zu vertheidigen. Sogar sie selbst konnten sich nur mit Mühe einer schlechten Behandlung entziehen, und Joann, der ihren Rückzug deckte, wäre dabei fast noch getödtet worden.
    Alle Vier fanden sich am Rande des Sees, einige Meilen von Kingston, wieder zusammen. Sie beschlossen hier, dem Nordrande desselben zu folgen, um die Vereinigten Staaten zu erreichen, da sie selbst in Ober-Canada, welches eigentlich außerhalb des Einflusses der Reformer lag, keinen Schlupfwinkel mehr fanden. Und doch erwartete sie jenseits der Grenze wahrscheinlich der nämliche Empfang, in einem Lande, wo man dem Verrathe eines Black gegen einen Bürger der amerikanischen Föderation nach immer fluchte.
    Am besten wäre es also gewesen, ein unbekanntes Land zu finden, sich selbst inmitten eines Indianerstammes niederzulassen, bis wohin der Name eines Simon Morgaz jedenfalls noch nicht gedrungen war. Vergeblich. Der Elende wurde überall
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