Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Titel: Die Falschmünzer vom Mäuseweg
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
Tee und Weihnachtsplätzchen. Und
drittens wollte Georg, der Chauffeur der Familie Sauerlich, die Kinder mit dem
Zwölfzylinder-Jaguar nach Hause fahren. Insgesamt also ein rundes Programm.
    In leichtem Trab eilten sie
durch die Straßen. Überall glänzten Lichter. Sie kamen an der Budenstadt des
Weihnachtsmarktes vorbei. Eine Menschenmenge drängte sich dort. Weihnachtsbäume
gossen ihr Elektro-Kerzenlicht in den Winterabend. Die Luft duftete nach
Glühwein und Bratäpfeln und heißen Maronis und Kräuterbonbons und Bratwürsten.
    Klößchen konnte kaum atmen — so
lief ihm die Spucke im Mund zusammen.
    Als sie die Eichenallee
erreichten, war allen vom Trablauf recht warm. Klößchen dampfte.
    Die Villa der Sauerlichs stand
in einem großen Park, der Jaguar vor der Garage. Vorn an der Straße parkte ein
weniger kostspieliger Wagen, den die Kinder fast noch besser kannten als den
Jaguar.
    »Nanu!«, rief Gaby. »Das ist
doch unser Auto. Was macht denn mein Papi hier?«
    Dass Kommissar Glockner den
Sauerlichs einen Höflichkeitsbesuch abstattete, war kaum anzunehmen — obwohl
sich Glockners und Sauerlichs kannten, wie auch Viersteins mit Glockners und
Sauerlichs bekannt waren. Ergeben hatte sich das durch die schmiedeeiserne
Freundschaft der Kinder, denn die TKKG-Bande hielt zusammen wie Pech und
Schwefel.
    Aber heute war Sonntag, und
sofern keine Einladung vorlag, kam da niemand ohne zwingenden Grund.
    Als sie zum Haus liefen, dachte
Tarzan für einen Moment an seine Mutter.
    Wie weit weg sie war! Viele
Bahnstunden entfernt! Und er hatte nur noch sie. Sein Vater, ein Diplom-Ingenieur,
war vor Jahren tödlich verunglückt. Seitdem arbeitete Tarzans Mutter als
Buchhalterin und hatte viel Mühe, um für ihren einzigen Sohn das teure
Schulgeld aufzubringen. Aber für ihn war ihr nichts zu viel; und beide nahmen
auch in Kauf, dass sie sich nur während der Ferien sahen, obwohl die Sehnsucht
oft groß war.
    Klößchen klingelte.
    Die Köchin öffnete ihnen. Sie
war dick und freundlich und die lebende Garantie dafür, dass Herr Sauerlich
nicht verhungerte. Seine werte Gattin nämlich, Klößchens Mutter, war
diätbesessen. Sie aß nur Grünzeug, verabscheute Fleisch und Süßigkeiten,
weshalb sie auch oft mit ihrem Gewissen hadern musste. Denn immerhin war ihr
Mann Schokoladenhersteller, was sie letztlich aufgrund ihrer
ernährungswissenschaftlichen Überzeugung nicht gutheißen konnte.
    Bei den Sauerlichs kam also nur
auf den Tisch, wovon allenfalls ein Karnickel satt geworden wäre — satt, aber
nicht dick. Herr Sauerlich sah allerdings aus wie Klößchen — nur 30 Jahre älter
und etwas größer. Seine Leibesfülle verdankte er der Köchin. Heimlich versorgte
sie ihn mit Schweinsbraten, Schinken, Bratwürsten und deftiger Hausmannskost.
Ebenso versorgte sie Klößchen, wenn er übers Wochenende oder in den Ferien zu Hause
war.
    »Na, Kinder! War’s schön? Hier
ist vielleicht was los«, sagte sie — und verdrehte die Augen himmelwärts.
    Was los war, sagte sie nicht,
aus Verzweiflung oder um die Spannung zu erhöhen.
    Alle putzten sich die Schuhe
ab.
    In der Eingangshalle kam ihnen
Herr Sauerlich entgegen. Er trug einen grauen, großkarierten Anzug, in dem er
noch beleibter und kurzbeiniger aussah. Stramm spannte sich die weinrote Weste
über seinem Hühnerfriedhof, denn auch Hühner konnte die Köchin vortrefflich
zubereiten, und in der Speisekammer oder seinem Arbeitszimmer ließ sich’s dann
Herr Sauerlich schmecken.
    »Hallo, ihr!«, rief er. Dabei
stieß er einen Finger in die Luft, als gelte es, Löcher zu bohren. Das war
seine Angewohnheit, wenn er redete. Er redete oft und bohrte viele Löcher.
    »Nicht zu fassen«, rief er,
»was da passiert ist. Mit der Mama, Willi! Ausgerechnet ihr! Schlechte Welt,
heutzutage! Bin ja nur froh, dass es ohne Verletzung abging. Aber diese
Aufregung! Fast zu viel für die Mama! Woher soll sie die Nervenkraft nehmen, wo
sie doch nur Brennnessel-Suppe und Spinatgulasch isst. Kommt rein! Flink,
flink! Dein Vater, Gaby, ist liebenswürdigerweise sofort gekommen. Ihr wollt
doch hören, worum es geht! Schnell, schnell!«
    Auf kurzen Beinen schritt er
voran.
    Tarzan hatte mitgezählt: 14
tiefe Löcher hatte Herr Sauerlich der Luft beigebracht. Aber das schmerzte j a
nicht. Es sah nur so komisch aus. Im Übrigen war Herr Sauerlich sehr nett und
bei den Kindern überaus beliebt.
    Im blauen Salon, wie Frau
Sauerlich den mit blauen Stilmöbeln ausgestatteten Raum zu nennen pflegte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher