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Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Titel: Die Falschmünzer vom Mäuseweg
Autoren: Stefan Wolf
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hoher
Geschwindigkeit. Die Wagen stießen und rumpelten. Draußen hatte sich blaue
Winterdämmerung auf die verschneite Landschaft gesenkt. Dann und wann huschten
Lichter vorbei.
    Der Wagen, als letzter
angekoppelt, hatte keinen Durchgang nach vorn. Vom Schaffner war nichts zu
sehen.
    Vielleicht, überlegte Tarzan,
hatte der Beamte nichts bemerkt von dem, was hier vorgegangen war. Oder er
hatte es bemerkt, aber keinen Mut besessen, um sich mit den Ledertypen
anzulegen.
    Karl, der auch den Spitznamen
Computer hatte — wegen seines geradezu unglaublichen Gedächtnisses — hob einen
Finger.
    Jetzt kommt’s, dachte Tarzan.
Ihm ist wieder was eingefallen. Gleich wird er uns mit einem Vortrag nerven,
bis wir ihm das Wort abschneiden.
    Damit musste man bei Karl immer
rechnen. Was er dann an angelesenem Wissen von sich gab, war gewaltig. Nur fand
er leider kein Ende.
    Was er jetzt freilich kundtat,
gehörte zur Sache — und war sozusagen hochaktuell.
    »Wenn ich mich recht entsinne«,
sagte er einleitend. Das war ein nicht mehr taufrischer Witz. Denn dass Karl
sich immer richtig entsann, war so selbstverständlich wie das Amen in der
Kirche.
    »...las ich unlängst in der Freien
Presse, dass die Bundesbahndirektion unserer schönen Stadt mit der
Zerstörungswut der Fahrgäste erhebliche Schwierigkeiten hat. Monat für Monat,
hieß es da, müssen 400 zerstörte Sitze ersetzt werden. Das entspricht der
kompletten Bestuhlung zweier Triebwagen. Allein das kostete die Bahn im letzten
Jahr 700 000 Mark. Vier Arbeiter des Bahnbetriebswerks sind das ganze Jahr über
nur mit der Reparatur der S-Bahn-Wagen beschäftigt. Wie lange so ein
S-Bahn-Sitz hält, konnte bisher noch gar nicht festgestellt werden. Denn lange
bevor der natürliche Verschleiß eintritt, werden die Sitze zerstört. Täter sind
meist jugendliche Vandalen, die aber auch vor Fahrkartenautomaten, Schaukästen
und Wartehäuschen keineswegs Halt machen. Allein in der Region unserer Stadt
beläuft sich der Gesamtschaden bereits auf über 3 Millionen Mark. Die
Bahnpolizei bemüht sich zwar, die Zahl ihrer Streifen zu erhöhen, leidet aber
unter Personalknappheit. Deshalb kann sie nicht jeden S-Bahn-Zug begleiten. Um
die Täter für den Schaden haftbar zu machen, ist die Bahnpolizei auf Tipps von
Fahrgästen angewiesen. Aber damit sieht es schlecht aus, denn — so hieß es in
dem Zeitungsbericht — konkrete Hinweise gingen noch nicht ein.«
    »Bis jetzt noch nicht«, sagte
Tarzan. »Wir liefern den ersten Hinweis.«
    Der Zug verlangsamte seine
Fahrt. Bremsen kreischten. Er hielt.
    Es war die letzte Station vor
der Stadt. Einige Fahrgäste warteten in der Kälte, stiegen aber vorn ein.
    Bevor der Zug abfuhr, tauchte
der Schaffner auf.
    Er war so rundlich wie
Klößchen. Die Uniformjacke spannte über dem stattlichen Bauch. Er war kurzatmig
und hatte ein krebsrotes Gesicht. Die beleidigte Miene war offenbar auf keinen
Anlass zurückzuführen, sondern schien sein ständiger Gesichtsausdruck zu sein.
    Kaum war er in den Wagen
geklettert, riss er verwirrt die Augen auf.
    Aber Tarzan merkte ihm an: Der
Schreck war gespielt. Der Mann hatte gewusst, was er hier vorfinden würde. Aber
er hatte gekniffen — vorhin, sich nicht mit den Ledertypen anlegen wollen. Nun
ja! Ihn hätten die sicherlich windelweich geprügelt. Und dieses Opfer war ihm
sein Beamtengehalt nicht wert.
    »Hallo, wie sieht’s denn hier
aus? Wart ihr das?«
    »Das ist hoffentlich nicht
ernst gemeint?«, entgegnete Tarzan. »Sonst würden wir uns beleidigt fühlen!«
    »Ihr wart’s also nicht?«
    »Natürlich nicht! Wir sind
genauso entsetzt wie Sie. Aber wir haben die mutmaßlichen Täter gesehen. Der Bahnpolizei
werden wir eine genaue Beschreibung liefern.«
    »Recht so!«, sagte der
Schaffner und wischte sich mit dem Ärmel die Stirn. Dabei rutschte seine Mütze
nach hinten. Jetzt sah er so ulkig aus, dass Gaby Tarzans Schal vor den Mund
zog und in die Wollmaschen kicherte.

    »Bitte, die Fahrausweise!«,
meinte der Schaffner sachlich und rückte seine Mütze zurecht.
    Bis die S-Bahn in die Stadt
einlief, unterhielt er sich mit Tarzan und Karl über die Schlechtigkeit der
heutigen Jugend.
    Aber Tarzan entgegnete, es
wären ja schließlich nicht alle so — im Gegenteil: nur ein verschwindend
kleiner Teil der Jugend. Aber diese miesen Typen brächten alle in Verruf; und
leider sei nicht von jedem Erwachsenen zu erwarten, dass er vorurteilsfrei
urteilen könne. Viele würden alle in einen Topf werfen und
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