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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau
Autoren: Katrin Mackowski
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unfähig zur Liebe. Eine Frau, die nichts mehr zu geben hatte als maskenhafte Schönheit?
    Sarah stand auf und ging in ihrem Zimmer umher. All die Jahre, die sie allein ihrer Karriere gewidmet hatte. Verschenkt! Kein Familienleben mit Kindern, aber auch keine Abenteuer. Wollte sich die Zeit nun an ihr rächen? Und was war mit François Satek? Der Mann, mit dem die Dinge ins Rollen gekommen waren. Sicher, er hatte sie für Claire gehalten. Später Irene und sogar Svetlana in ihr gesehen. Er hatte sie begehrt, aber verwechselt, und eigentlich war ihr das ganz recht so. Nichts schlimmer als Wünsche von Männern, die Unmögliches von ihr verlangten. Eindeutigkeit. Absolute Hingabe. Einen sexuellen Triumph, der sie binden sollte. Nein! Dazu war sie nicht in der Lage. Aber mit François?
    Würde er erst wissen, wer sie wirklich war, voller Angst und Unsicherheiten, hätte er vielleicht gar kein Interesse an ihr.
    Egal, dachte Sarah und wollte ihm wenigstens seinen Rimbaud zurückbringen. Das Reclamheft lag unter einem Wust von Unterlagen auf ihrem Schreibtisch und stach mit seinem orangefarbenen Umschlag hervor. Gedankenverloren nahm Sarah das Buch in ihre Hände und blätterte darin.
     
    Je ne pourrai jamais envoyer l’amour par la fenêtre.
     
    Ich werden es niemals über mich bringen, die Liebe aus dem Fenster zu werfen, las sie laut und musste trotz allem schmunzeln. Welche Liebe? Aus dem Fenster werfen?
     
    Peut-on s’extasier dans la destruction, se rejeunir par la cruauté!
     
    Wie kann man sich doch berauschen in der Zerstörung, sich verjüngen durch die Grausamkeit?
     
    Grausamkeit. Das war das Stichwort. Was, wenn sie ihn nie wieder sehen würde?, dachte Sarah. Was, wenn er sich unbemerkt aus ihrem Leben gestohlen hätte? Einfach so. Ohne Abschied, ohne Erklärung. Eine Grausamkeit, die sie nicht hinnehmen wollte, niemals. Aus Furcht, sie könnte diesen Mann, der ihr Leben nur gestreift hatte, wieder verlieren, wollte sie plötzlich zu ihm.
    Sie ließ Rimbaud in ihrer Manteltasche verschwinden und griff nach der Tür.
     
    Es war zu mild für einen Silvesterabend. Draußen wehte kein Lüftchen. Das Gold auf der Pestsäule wirkte matt, die gesamte innere Stadt kam ihr wie ausgestorben vor.
    Sarah Rosen verschränkte die Arme unter der Brust und lief zur U-Bahn am Stephansplatz. Einen Moment lang war sie nicht mehr sicher, ob der Kerl, der sie so sehr beschäftigte, überhaupt existierte oder nur ein Produkt ihrer Fantasie war.
    François und Rimbaud, die Poesie eines Soldaten!
     
    Touristen, Leute, die auf den alljährlichen Silvesterpfad wollten, drängten sich vorbei. Sie schmetterten Lieder.
    In Sarah war es still. Ihre Haut kribbelte noch von diesem Tier, von dieser Zitterpartie zu Goldbrasse in Mandelsoße. Augen zu und Mund auf. Anziehen und Abstoßen, und seither diese Beweglichkeit! Diese Unruhe in Beinen und Hüften. Seither diese Ahnung, etwas könnte möglich sein, im letzten Moment noch, und nur mit ihm.
    Sarah schlingerte von einem Gefühl zum anderen. Mal dachte sie aufrührerisch, mal lammfromm über ihn, mal voller Groll, dann wieder voller Zärtlichkeit, aber doch nicht so, dass sie darin völlig aufging.
    Rimbaud war nicht stark genug.
     
    Eine federnde Gestalt, die sie nicht gleich erkannt, aber vor zwei Tagen erst genau an dieser Stelle getroffen hatte, kam ihr dazwischen.
    Patrizia Heral.
    Zum ersten Mal war ihr aufgefallen, dass sie schmale Lippen hatte, und aus irgendeinem Grund wollte sie, dass diese Lippen lieber verschlossen blieben.
    »Ich muss Ihnen was geben«, hatte Patrizia gesagt.
    Sarah war es gewohnt, kurz vor den Feiertagen von Patienten Geschenke zu bekommen, meist unsinniges Zeug: Flaschenöffner, Souvenirs wie nickende Robben oder gläserne Briefbeschwerer, Romane, ganz selten auch private Dinge wie Briefe oder Tagebücher, die sie verwahren und hüten sollte, aber das, was ihr Patrizia anvertraute, war anders, war vollkommen erdrückend gewesen.
    Sie hatte ihr ein kleines, in Glitzerpapier eingewickeltes Etwas überreicht, das von einem Stück blauer Wäscheleine zusammengehalten und oben sorgfältig zu einer großen Schleife gebunden war. Ein Schmuckkästchen war zum Vorschein gekommen, dann ein opulenter Rubin, eingefasst in Rotgold, das Erbstück ihrer Mutter, den sie ausgerechnet Sarah vermachen wollte.
    »Zum Abschied«, hatte Patrizia gesagt, sich den Ring an den Finger gesteckt und gegen das Licht gehalten. Dann zog sie ein zusammengefaltetes Stück Papier
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