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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau
Autoren: Katrin Mackowski
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aus der Tasche. Es war ein vergilbter, brüchiger Zeitungsartikel, der dokumentierte, dass ein Geisterfahrer schuld am Tod ihrer Eltern war, und nach hitzköpfigen Erklärungen, die Patrizia über sich und ihre Symptome abgab, die sich, wie sie glaubte, nun ganz von selbst lösen würden, hatte sie gesagt: »Mein Vater konnte nichts dafür. Da steht’s doch. Es ist ganz simpel. Wozu Psychoanalyse?«
     
    Über zwanzig Jahre lang hatte Sarah Rosen mit Menschen gearbeitet, die mehr oder weniger alle ihre Motive verbargen, unwissentlich oder wissentlich. Über zwanzig Jahre hatte Sarah Rosen versucht, diese Motive aufzuspüren, und nach Mitteln und Wegen gesucht, sie ans Licht zu zerren. Und ausgerechnet Patrizia, mit der sie Stunde um Stunde durch Abgründe und Labyrinthe gegangen war, kam mit einem Artikel aus der Presse, den sie für die Lösung ihrer Probleme hielt.
    Die Euphorie, mit der Sarah eben noch aufgebrochen war, hatte sich gelegt. Das Versagen wog schwer. Sarah atmete tief durch. Schließlich gab es noch Georg. In einer knappen Stunde wollten sie sich zum Silvestermenü im Imperial treffen.
    Sie würde pünktlich sein, sie würde mit ihm ins neue Jahr feiern wie eh und je, sie würde sich nichts anmerken lassen. Natürlich nicht. Die Sache mit den Rechnungen aus dem Orient, der Verdacht, den Bruno gegen Georg aufkommen ließ, den hatte sie ihm gegenüber mit keinem Wort erwähnt. Er war ja durch nichts zu erhärten gewesen.
    Du bist aus dem Verkehr gezogen, dachte Sarah und fühlte sich elend. Du bist leer, hochgradig abwesend. Ein Nichts!
     
    Langsam strich das Grau der Gemeindebauten vorbei. Fünfter Bezirk. Lichterketten flackerten.
    Haltestelle Arbeitergasse. Dann Eichenstraße. Vereinzelt Menschen, die ihre Hunde auf einem Stück Grün zwischen Straße und Schienen der Bahn ausführten. Sarah stieg aus und ging den schmalen, dunklen Gang entlang.
     
    Es roch nach Urin. Später nach gebratenem Fett, das aus einem Beisl bis hinunter in den Schacht zog. Sarah hielt die Luft an und nahm die Stufen nach oben, als hätte sie einen Marathon hinter sich. Völlig erschöpft sog sie endlich wieder frischere Luft ein. Ein paar Meter nur noch bis in die Siebenbrunnenfeldgasse. Ein Weinhandel auf der linken Seite, dann endlich das Hochhaus, das sie suchte. Hier also war er zu Hause.
    Sarahs Blick war starr auf die grobkörnige Wand gerichtet.
    Da waren lauter Schilder und Klingelknöpfe. Ihr Zeigefinger drückte nach ein paarmal Kreisen über die Tastatur den Namen Satek. Aus dem Gitter der Gegensprechanlage eine Frauenstimme.
    »Ja? Ja bitte?«
    Eine Frau? Wieso eine Frau?
    Der Türöffner summte. Sarah trat ein.
    Der Fahrstuhl begrüßte sie mit einem quietschenden Geräusch. Drinnen, in der Kabine, drückte sie wieder einen Knopf. Die Kabine rührte sich nicht. Sie drückte noch einmal. Wieder nichts. Kurz danach schloss das alte Ding endlich seine Türen, ein ruckartiges Schnappen, dann fuhr der Lift anstandslos hoch.
    Erster Stock.
    Die Frau aus dem Lautsprecher erwartete sie an der Treppe, nahm zwei Züge von einer Blini und streckte Sarah dann mit einer langsamen Bewegung die Hand entgegen.
    »Vera?«, fragte Sarah erstaunt. »Sie?«
    Musik drang aus der Wohnung. Was hatte diese Frau hier verloren?
    The look …
    Die Musik kam aus seiner Wohnung.
     … of love.
    Und sie, sie stand in seiner Tür.
    »Wissen Sie vielleicht, ob … ob François da ist?«, fragte Sarah. Sie wünschte, sie hätte diese Musik nicht gehört und diese Frau nie zu Gesicht bekommen.
    Vera Kirchner zuckte nur mit den Achseln. In ihren Augen schimmerte wässriges Weiß.
    »Ist unterwegs«, sagte Vera leise.
    »Nach Paris?«
    Vera nickte.
    »Wahrscheinlich mit dem Nachtzug.«
    Sarah steckte ihren Kopf in die Tür. Aus dem Wohnzimmer lugten die Zweige eines pink angesprühten Tannenbaumes hervor.
    »Es war perfekt mit ihm«, sagte sie. »Vielleicht zu perfekt«, dann schloss sie leise die Tür.
     
    Auf dem Weg zum Westbahnhof stellte sich Sarah Paris vor, kitschig, so wie man es aus Schlagern kennt, und voller Paare, die dort ihre Flitterwochen verlebten und nicht mehr zurück wollten.
    Eine Sekunde lang hatte sie das Gefühl, sich so mit François zu sehen. Von der Seite, von hinten, von vorne, Arm in Arm, aber das Bild verblasste, je näher sie den Gleisen kam, und als irgendwo das Signal zum Einsteigen ertönte, stieg Übelkeit in ihr auf, die sie tapfer runterschluckte und wegatmen wollte mit einem Mentholtaschentuch vor der
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