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Die Falken und das Glück - Roman

Die Falken und das Glück - Roman

Titel: Die Falken und das Glück - Roman
Autoren: Reber Sabine
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Männer sind treu und verschwiegen: die O’Malleys und die O’Flahertys halten zusammen wie Bruder und Schwester.
    Keiner wird ihren Plan verraten haben.
    Sie fährt sich mit dem Ärmel übers Gesicht, als könnte das raue Leinentuch nicht nur den Schlaf aus ihren Augen wischen, sondern auch die Angst vor dem nächsten Tag vertreiben.
    In tiefen Zügen atmet sie die Gewitterluft ein.
    Als sie Mitte Oktober mit ihrer Flotte auf die Insel übersetzte, hat sie sich frei gefühlt. Frei, stark und unbesiegbar.
    Schwer hingen damals die Wolken über dem Wasser. Milchigweiße Streifen fielen vom Himmel, liefen als Lichtbalken durch die Bucht. Das Meer war grau, aber die dreihundertfünfundsechzig Inseln in der Clew Bay wurden von dünnen Sonnenstrahlen beleuchtet. Über den Schiffen stürzte der Regen in dicken Bändern vom Himmel.
    Es war windstill.
    Im Gleichschlag durchschnitten die Ruder das Wasser, tauchten auf, tauchten ein, ohne Wellen zu werfen, messerscharf.
    Die Sonnenstrahlen verschwanden, zauberten für Sekunden einen mächtigen Regenbogen über die Bucht, bevor sie erloschen.
    Granuaile stand am Bug ihrer großen, neuen Karavelle, die sie Torc getauft hatte, nach dem irischen Wort für Eber. Sie kommandierte ihr Flaggschiff mit kräftiger, ruhiger Stimme. Regenwasser rann ihr aus den Haaren. Die Galeeren und das Gepäckschiff folgten in Sichtweite, verschwanden immer wieder in Nebelschwaden und Regen. Obwohl es wie aus Eimern goss, konnte sie die Ruderschläge ihrer Mannschaften hören, den gleichmäßigen Puls ihrer Flotte.
    Die Nebelschwaden bewegten sich. Löcher öffneten sich und gaben Bruchstücke der Landschaft preis, die Schulter eines Berges, einen Flecken Himmel, Ausblicke auf die Küstenlinie von Mayo.
    Im gedämpften Licht ragte Clare Island wie ein kauerndes Tier aus dem Wasser, den Kopf in eine dicke Wolke gehüllt. Zielstrebig hielt Granuaile auf die Kuppe von Cnoc More zu, die aus dem Nebel wachsend einem schwebenden Gegenstand glich, und feuerte ihre Mannschaft an, alles zu geben. Die Männer an den Riemen stachen unermüdlich ins Wasser.
    Schwaden teilten sich in Fetzen, die schichtweise über der Bucht schwebten. Die Löcher wurden größer, und Granuaile konnte backbords den Zuckerhut des heiligen Croagh Patrick erkennen. Sie ließ ihren Blick in die Clew Bay wandern, sah die Inseln, eine für jeden Tag des Jahres, wie aufs Wasser gestreute Blätter, die kurz auftauchten, um wieder in Nebelfetzen zu verschwinden, die ihrerseits langsam aus der Bucht aufstiegen und sich in höheren Luftschichten den Wolken anschlossen. Böen fuhren ihr ins Haar.
    Sie gab Order, die Schiffe zu betakeln.
    Groß und ruhig rollten die Wellen unter der Karavelle.
    Wie gespannte Flügel rauschten die Segel im Wind.
    Ihre Flotte durchkreuzte die Clew Bay mit der Eleganz eines Möwenschwarms, beinah über den Wellen schwebend. Granuaile stand am Bug ihres Flaggschiffs und fühlte sich sicher und stark, wie sie auf die Insel zuglitt, die nun die ihre war: Mit diesem Stützpunkt würde sie unbesiegbar sein. Die grünen Steilhänge tauchten aus dem Nebel auf, und Granuailes Puls beruhigte sich.
    Ein Streifen gelben Sonnenlichts fiel auf die Insel. Schafe leuchteten als goldene Punkte auf, auch die Wiesen nahmen dieselbe Farbe an. Im nächsten Augenblick erstrahlte der Himmel in einem Blau, das rasch ins Grüne kippte.
    Trotzig saß die Burg im Windschatten von Cnoc More. Zwei mit Schieferziegeln verschalte Lukarnen ragten aus der Festung: Ausblicke gegen Westen und gegen Osten.
    An ihrem Turm kam niemand ungesehen vorbei, nicht in die Bucht hinein und schon gar nicht aus der Bucht hinaus.
    Granuailes Flotte schien auf die Insel zuzufliegen.
    Neue Nebelschwaden schoben sich vor die Schiffe. Die von steilen Kartoffeläckern gefurchten Felder, die Hecken und Steinmauern und die Lehmhütten, die sich an die Südflanke der Insel duckten, verschwanden ebenso hinter dem Schleier wie die Schafe, die noch Minuten zuvor als helle Punkte über die Wiesen gezogen waren.
    Granuaile steuerte ihr Flaggschiff auf die Westseite der Insel zu. Die Flotte bog in den Hafen ein, und die Sonne verschwand hinter dem Berg. Der metallische Glanz auf dem Schieferdach erlosch, gespenstische Ruhe lag über der Burg. Die Seehunde reckten ihre Köpfe aus dem Wasser, tauchten vor den Schiffen unter. Die Vogelschwärme landeten auf dem Strand, die Sturmmöwen, die Tölpel und die Krähenscharben falteten ihre Flügel zusammen und warteten.
    Granuaile
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