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Die Falken und das Glück - Roman

Die Falken und das Glück - Roman

Titel: Die Falken und das Glück - Roman
Autoren: Reber Sabine
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füllt die Leere. Erste Sturmböen peitschen den Turm und pressen Tropfen aus dem Mauerwerk. Der poröse Fenstersims über der Schlafstätte scheint zu weinen.
    Wir schreiben das Jahr 1564.
    Sechs Jahre sind vergangen, seit Königin Elizabeth I. den englischen Thron bestiegen hat, sechs Jahre, in denen es der jungen Monarchin gegen den Widerstand der katholischen Würdenträger gelungen ist, die Kirche unter Staatskontrolle zu bringen. Die Unterwerfung der irischen Provinzen jedoch scheint sie teurer zu kommen als erwartet. In Ulster rebelliert der Earl of Tyrone. Um die englische Staatskasse steht es schlecht.
    Auf der irischen Insel Clare, die als moosgrüne Sphinx am westlichen Rand Europas aus dem Atlantik ragt, wischt sich die 34-jährige Granuaile einen Wassertropfen von der Wange und zieht sich ihr Otterfell über die Ohren.
    Aber sie findet keinen Schlaf.
    Sie hätte zusammen mit der Mannschaft an Bord übernachten sollen. Viel kälter als in ihrem Turm wird es auch auf dem Wasser nicht sein. Sie friert, sie zittert. In ihren Schläfen pocht das Blut.
    Sie fürchtet sich vor dem nächsten Tag.
    Durchfroren steht sie auf, stolpert über die gegerbten Schaffelle auf dem Dielenboden und entzündet eine Talgkerze. Dann legt sie sich wieder hin und starrt an die Decke. Früher, als ihr Vater Dubhdara in der Burg übernachtete, wenn er während seiner ausgedehnten Reisen auf Clare Island Zwischenstation machte, baumelte ein eiserner Kronleuchter mit Kerzen von der Decke. Die Löcher im Stein sind noch zu sehen. Granuaile will sich nach dem Verbleib des Leuchters erkundigen, später. Sie wird sich darum kümmern, wenn sie aus Galway zurückkehrt, wenn sie Galway erobert hat.
    In ihrer Jugend ist Granuaile oft mit Dubhdara nach Clare Island gesegelt, wo er nach seiner Fischereiflotte sah. Die Hände in die Taille gestemmt, stand sie neben ihm und inspizierte den jüngsten Fang, hob einzelne Heringe, Lachse oder Makrelen aus den Körben, nickte anerkennend. Sie achtete darauf, dass die Fische frisch waren, bevor sie getrocknet oder eingesalzen und in Fässer gepackt wurden, um sie nach Spanien zu exportieren, und dafür Wein und Eisen, Seidenstoffe und Schmuck zurückzubringen.
    Die Kammer wirkt ungastlich, obwohl Granuaile das Gerümpel ihres Vaters in den Wachtgang geschafft und dann die Holzplanken gefegt und ihre eigenen Habseligkeiten ausgepackt hat: die Felle, Decken und Kissen, die Kerzenständer und Kerzen.
    Einen Kragen aus Baummarderfell und einen Seidenschal hat sie sorgfältig über die Lehne des Stuhles gehängt und glattgestrichen.
    Ihre Festgarderobe, ein Seidenkleid mit Korsett, gebauschtem Rock und samtenem Umhang, kam an die Haken über dem Klo. Der Ammoniakgeruch soll die Läuse vertreiben.
    Granuailes schlafloser Blick wandert über die Wände.
    Die drei Hirschgeweihe, Trophäen von Dubhdaras Jagd auf Achill Island, die er vor Jahren in seiner privaten Kammer hat aufhängen lassen, sind mit Schimmel überzogen. Als wäre ihnen ein dünnes Fell gewachsen. Der ausgestopfte Kopf des Wildschweins mit den kräftigen Hauern ist vor Staub ergraut. Sie wird die Jagdtrophäen abhängen.
    Von den Kerzenständern, zu beiden Seiten des Fensters ins Mauerwerk eingelassen, fressen sich tropfende Rostspuren in den Verputz. Der Raum müsste neu gekalkt werden; die Farbe blättert, der Moder hat wilde Muster an die Wände gezeichnet. Im Licht der Talgkerze wachsen die Stockflecken zu Tieren heran. Granuaile sieht Hirsche und Rehe, Raben, ein Wildschwein, Wölfe, Hunde. Einen gelben Pelikan mit weit geöffnetem Schnabel. Figuren mit Harfen und andere mit Pfeil und Bogen schälen sich aus dem Putz, werden zu menschlichen Gestalten. Ziegelrote Jagdhunde folgen ihnen. Ein behelmter Reiter in einem langen, schwarzen Rock peitscht sein Pferd auf ihre Pritsche zu.
    Und wenn sie jemand verraten hat?
    Wenn die Stadtherren von Galway Granuailes Plan durchschauen und ihre Schiffe mit einem Kanonenhagel begrüßen, wenn ihre von den Engländern aufgerüstete Armee am Hafen auf sie wartet? Was, wenn Statthalter Sir Walter Malby sie gefangen nimmt? Er greift mit eiserner Faust nach den umliegenden Ländereien und freut sich über jede Gelegenheit, Angehörige der keltischen Clans in den Kerker zu stecken.
    Ihre Schultern verspannen sich, sie schnappt nach Luft und kriegt doch kaum genug Atem.
    Granuaile reißt die Lukarne auf.
    Die Luft ist salzig, eine frische Brise prickelt in ihrer Nase. Niemand wird etwas ahnen.
    Ihre
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