Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Falken und das Glück - Roman

Die Falken und das Glück - Roman

Titel: Die Falken und das Glück - Roman
Autoren: Reber Sabine
Vom Netzwerk:
neue Mailadresse und eine neue Kreditkarte besorgt, da er immer wieder angerufen und dir vorgehalten hatte, wo du was gekauft, wem du geschrieben und mit wem du telefoniert hattest. Immer hatte er dich beschimpft. Rache, Betrug, Verrat und Vergeltung, das waren die Worte, die Daniel leicht von den Lippen gingen. Du hattest jedes Passwort geändert und die Nabelschnur aus elektronischen Daten durchtrennt, die dich immer noch mit ihm verbunden hatte. Aber seine Macht über dein Leben blieb ungebrochen. Alles, was du versucht hast, blieb seltsam leblos ohne ihn.
    Ich sehe dich wieder vor mir, wie du Sarah die goldenen Schuhe gebracht hast. Du hast sie ihr gekauft, damals, als du uns besuchtest, uns zum ersten Mal zu dritt besuchtest, wie du lachend sagtest, nun besuche ich euch zu dritt! Du hast deine Arme ausgebreitet wie Schwingen und uns umfasst, als wärest du ein mächtiger, großer Vogel, eine Seemöwe oder ein Albatros, derart umschlossest du uns, als wäre es an dir, uns erst richtig zusammenzufügen.
    Du warst ein großer Vogel, das bist du schon immer gewesen, ein mächtiger, großer Vogel. Und ich war klein und fürchtete mich vor allem Möglichen. Du bist in die höchsten Bäume geklettert, und ich blieb am Boden und sah dir zu und fürchtete mich. Und nun sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Flugzeug, und du bist tot. Du bist ein Vogel, und ich sterbe vor Flugangst. Du warst ein Vogel. Immer wieder gerätst du mir in die Gegenwart. Ich rede mit dir, ich erzähle dir Geschichten wie damals, wenn du nicht schlafen konntest. Wenn ich erzähle, kommt es mir vor, als lebtest du noch. Wenn ich erzähle, bin ich dir so nahe wie damals, als wir unser Mädchenzimmer geteilt haben und unsere Geheimnisse. Ich höre Vater vor unserer Tür poltern. Wenn er glaubte, wir schliefen, hatte er unsere Mutter angeschrien. Immer wieder hatten sie sich gestritten, er hatte sie beschimpft und Gegenstände nach ihr geworfen. Dann war ich zu dir unter die Decke gekrochen.
    Er wird uns nichts tun, hattest du mir versichert und deine Arme um mich gelegt.
    Seit deinem Tod liege ich nachts wach und erzähle. Wenn ich eine Episode in Gedanken zu Ende erzählt habe, setze ich mich hin und notiere sie in das Heft. Ich beginne immer erst dann mit Schreiben, wenn ich in Gedanken die ganze Szene zu Ende erzählt habe. Fange ich zu früh an zu schreiben, entschwinden mir die Figuren, und dann entschwindest auch du mir. Ich erzähle, um dich nicht zu verlieren.
    Solange ich dir nachts Geschichten erzähle, wirst du mir nicht ganz abhandenkommen. Auch wenn du mich nicht mehr hören kannst, du bist gefangen in meinen Geschichten. Wenn der Mond voll ist, sind wir uns besonders nah. Dann erzähle ich eine lange Episode. Mein Lispeln klinge wie Wind in einem Bambushain, hattest du früher einmal gesagt. Auch du lagst bei Vollmond die ganze Nacht wach.
    Durch die Kratzer und Eiskristalle auf der Scheibe erscheint die Welt unscharf, verzerrt. Die Wolken ziehen sich gegen den Horizont zu in die Länge, laufen in einer Nebelbank aus, die sich in einem unwirklichen Grünblau färbt und nahtlos in den Himmel überzugehen scheint. Wie ein Kind versuche ich hineinzufassen und statt Schnee eine Handvoll Wolke zu essen. Die Landschaft sieht so unwirklich aus, als käme sie im Fernseher. Frachtschiffe schieben sich Spielzeugen gleich durch das Bild. Dann ragen Hügel aus der weißen Masse. Winzige Schiffe unter mir, die Brandung. Die grünen Felder, der Sandstrand. Land in Sicht! Die Maschine dreht ab, ich sehe die Landebahn. Nun habe ich das Ziel vor Augen, den Himmel, das Meer und die Landebahn. Ich setze mich deinen Elementen aus, Schwesterherz, der Luft und dem Atlantik. Ich halte mich an Sarahs Babyschuhen fest, die Tasche mit der Urne und dem Manuskript an meinen Schoß gepresst. Mit Goldstaub an den Fingern trage ich dich heim, über die Wolken trage ich dich heim. Auf deiner Insel werde ich dich freilassen. Breite die Schwingen, Schwesterherz, und flieg den Falken nach ins Glück.

Die Pritsche ist steinhart und feucht.
    Von Salz gesättigt und schwer drängt die Luft in den Raum; es riecht nach Gewitter.
    Den ganzen September über und auch während den ersten beiden Oktoberwochen hat dichter Niesel die Insel verhüllt. Durstig haben sich die Steinmauern mit der Feuchtigkeit vollgesogen. In den Ritzen hat sich Wasser gesammelt, Algen wuchsen, Moos. Im Erdgeschoss sind Frösche aufgetaucht.
    Nach Mitternacht wird die Luft dünner, Wind
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher