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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte
Autoren: Jo Nesbø
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Liquidation stand, hatte die Polizei noch nicht ermittelt.
    Um an dem Ellen-Gjelten-Fall zu arbeiten, hatte sich Harry nach einem kürzeren Gastaufenthalt im Polizeilichen Überwachungsdienst PUD in der obersten Etage in das Dezernat für Gewaltverbrechen zurückversetzen lassen. Im PUD hatte man sich nur gefreut, ihn wieder loszuwerden. Und Møller war froh, ihn zurück in der sechsten Etage zu haben.
    »Ich geh hiermit nach oben zu Ivarsson ins Raubdezernat«, brummte Harry und wedelte mit der VHS-Kassette herum. »Er wollte gemeinsam mit einem neuen Wunderkind, das sie dort oben haben, einen Blick drauf werfen.«
    »Oh, von wem sprichst du?«
    »Eine Frau, die erst in diesem Sommer von der Polizeischule gekommen ist, sie soll drei Raubüberfälle gelöst haben, bloß indem sie sich die Videos angesehen hat.«
    »Oho, sie ist hübsch, oder?«
    Harry seufzte. »Ihr jungen Leute seid so schrecklich berechenbar. Ich hoffe, sie ist gut, der Rest interessiert mich nicht.«
    »Bist du sicher, dass es eine Frau ist?«
    »Wer weiß, vielleicht hatten Herr und Frau Lønn ja eine besondere Freude daran, ihren Sohn Beate zu nennen.«
    »Ich spüre irgendwie, dass sie hübsch ist.«
    »Ich hoffe nicht«, sagte Harry und duckte sich aus alter Gewohnheit, als er seine 195 Zentimeter unter dem Türrahmen hindurchbewegte.
    »Ach?«
    Die Antwort kam vom Flur: »Gute Polizisten sind hässlich.«
     
    Auf den ersten Blick gab Beate Lønns Aussehen keinen Hinweis in die eine oder andere Richtung. Sie war nicht hässlich und manch einer würde sicher sagen, dass sie ein Puppengesicht hatte. Aber der Grund dafür war vermutlich, dass alles an ihr klein war: Gesicht, Nase, Ohren, Körper. Und zuallererst war sie blass. Ihre Haut und ihre Haare waren derart farblos, dass Harry sofort an die Frauenleiche denken musste, die er und Ellen aus dem Bunnefjord gefischt hatten. Doch im Gegensatz zu der Leiche hatte Harry das Gefühl, dass er vergessen würde, wie Beate Lønn aussah, sobald er nur einen Augenblick den Raum verließ. Wogegen Beate Lønn nichts zu haben schien, denn sie murmelte nur kurz ihren Namen, während Harry ihre kleine, feuchte Hand drücken durfte, ehe sie sie schnell wieder zurückzog.
    »Hole ist hier im Haus eine Art Legende, verstehst du«, sagte Dezernatsleiter Ivarsson, der ihnen den Rücken zugedreht hatte und an einem Schlüsselbund herumfingerte. Ganz oben auf der grauen Stahltür vor ihnen stand in gotischen Buchstaben: House of Pain. Und darunter: Gruppenraum 508. »Stimmt doch, Hole, oder?« Harry gab keine Antwort. Es gab keinen Zweifel, welche Art Legende Ivarsson meinte, er hatte sich nie sonderlich angestrengt, seine Meinung über Hole zu verbergen. Er hielt Harry Hole für eine Schande für die ganze Polizei, die längst hätte ausgemerzt werden sollen.
    Ivarsson bekam schließlich die Tür auf und sie traten ein. Das House of Pain war ein Spezialraum, den das Raubdezernat nutzte, um Videoaufnahmen zu studieren, zu redigieren und zu kopieren. In der Mitte des fensterlosen Raumes stand ein großer Tisch mit drei Arbeitsplätzen. Eine Wand war durch ein Regal mit Videobändern verstellt, an der anderen hingen die Steckbriefe gesuchter Räuber und an der dritten eine große Leinwand, eine Oslokarte und ein paar Trophäen erfolgreicher Festnahmen. So auch neben der Tür, wo zwei abgetrennte Pulloverärmel mit Löchern für Augen und Mund hingen. Ansonsten bestand das Interieur aus grauen Computern, schwarzen Fernsehbildschirmen, Video- und DVD-Spielern sowie eine ganze Reihe anderer Geräte, von deren Funktion Harry keine Ahnung hatte.
    »Und, was hat das Dezernat für Gewaltverbrechen dem Video entnehmen können?«, fragte Ivarsson, als er sich auf einen der Stühle fallen ließ. Bei dem Wort Gewaltverbrechen legte er sehr viel Druck auf das »w«.
    »Das eine oder andere«, sagte Harry und ging zum Regal mit den VHS-Kassetten.
    »Ja?«
    »Nicht sonderlich viel.«
    »Schade, dass ihr nicht zu dem Vortrag gekommen seid, den ich im September in der Kantine gehalten habe. Außer euch waren alle Abteilungen anwesend, wenn ich mich nicht täusche.«
    Ivarsson war groß und hatte lange Gliedmaßen. Seine blonden Haare lagen lockig über seinen blauen Augen. Sein Gesicht hatte die markanten Züge deutscher Männermodells, die für Markenartikel, wie zum Beispiel Boss, posierten. Es war noch immer braun von den zahlreichen Sommernachmittagen auf dem Tennisplatz und möglicherweise von der einen oder anderen Stunde im
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