Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
Solarium des Fitnesscenters. Rune Ivarsson war kurz gesagt das, was die meisten einen gut aussehenden Mann nennen würden, und er bestätigte damit Harrys Theorie über den Zusammenhang des Äußerlichen mit der Fähigkeit im Dienst. Doch was Rune Ivarsson in puncto Ermittlungstalent fehlte, kompensierte er mit seinem Gespür für Politik und Allianzbildung in der Polizeihierarchie. Ivarsson hatte überdies ein natürliches Selbstvertrauen, das viele mit Führungsqualitäten verwechselten. Dieses Selbstvertrauen war in Ivarssons Fall einzig dadurch zu begründen, dass er mit einer totalen Blindheit für seine eigene Beschränktheit ausgestattet war, was ihn unweigerlich dazu qualifizierte, aufzusteigen und ihn eines Tages – direkt oder indirekt – zu Harrys Vorgesetztem machen würde. Prinzipiell hatte Harry nichts dagegen, wenn Mittelmäßigkeit hinwegbefördert wurde und nichts mehr mit den Ermittlungen zu tun hatte, doch die Gefahr bei Leuten wie Ivarsson war, dass ihnen durchaus in den Sinn kommen konnte, die Arbeit derjenigen zu leiten, die etwas von Ermittlungen verstanden.
    »Hab ich was verpasst?«, fragte Harry und fuhr mit dem Finger über die kleinen, handschriftlichen Etiketten auf den Kassettenrücken.
    »Vielleicht nicht«, sagte Ivarsson. »Wenn man nicht an den kleinen Details interessiert ist, mittels derer die Kriminalfälle gelöst werden.«
    Harry widerstand der Versuchung zu sagen, dass er nicht gekommen war, weil er von früheren Zuhörern erfahren hatte, dass es sich bei dem Vortrag um eine einzige Selbstbeweihräucherung gehandelt hatte, deren alleiniger Zweck es war, darauf hinzuweisen, dass die Aufklärungsrate des Raubdezernats seit Ivarssons Amtsübernahme von 35 % auf 50 % gestiegen war, ohne natürlich zu erwähnen, dass diese Amtsübernahme einhergegangen war mit einer Verdopplung des gesamten Personals, einer generellen Ausweitung der Kompetenzen hinsichtlich der Ermittlungsmethoden und der Tatsache, dass die Abteilung ihren schlechtesten Ermittler losgeworden war - Rune Ivarsson.
    »Ich halte mich für durchaus interessiert«, sagte Harry. »Also erzählen Sie mir, wie Sie diesen Fall hier gelöst haben.« Er zog eine Kassette aus dem Regal und las laut: »20.11.94, Sparebanken Nord, Manglerud.«
    Ivarsson lachte. »Gerne. Wir haben ihn auf die herkömmliche Weise geschnappt. Sie haben den Fluchtwagen auf einer Müllkippe bei Alnabru gewechselt und den ersten Wagen angezündet. Aber er brannte nicht ganz aus, so dass wir die Handschuhe von einem der Täter mit einer DNA-Spur gefunden haben. Die haben wir mit den Leuten verglichen, die uns die Fahnder nach Begutachtung des Videos als mögliche Täter genannt haben, und einer von ihnen passte. Der Idiot bekam vier Jahre, weil er einen Schuss an die Decke abgefeuert hatte. Sonst noch Fragen, Hole?«
    »Mm.« Harry fingerte an der Kassette herum. »Was für eine DNA-Spur war das?«
    »Hab ich doch gesagt: Eine, die passte.« Ivarssons linkes Auge begann zu zittern.
    »Gut, aber was genau? Tote Haut? Ein Nagel? Blut?«
    »Ist das wichtig?« Ivarssons Stimme klang jetzt hart und ungeduldig.
    Harry forderte sich selbst auf, die Klappe zu halten und dieses Don-Quijote-Projekt aufzugeben. Menschen wie Ivarsson waren ohnehin nicht lernfähig.
    »Vielleicht nicht«, hörte Harry sich selbst sagen. »Wenn man nicht an den kleinen Details interessiert ist, mittels derer die Kriminalfälle gelöst werden.«
    Ivarsson hatte seinen Blick starr auf Harry gerichtet. In dem geräuschisolierten Spezialraum legte sich die Stille wie ein physischer Druck auf die Ohren. Ivarsson öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen.
    »Knöchelhaare.«
    Beide Männer im Raum sahen zu Beate Lønn. Harry hatte sie beinahe vergessen. Sie sah von dem einen zum anderen und wiederholte beinahe flüsternd:
    »Knöchelhaare. Die oben auf den Fingern … die heißen doch so …«
    Ivarsson räusperte sich: »Stimmt, das war ein Haar. Aber es war doch wohl – ohne dass wir jetzt genauer darauf eingehen müssten — ein Haar vom Handrücken. Nicht wahr, Beate?« Ohne eine Antwort abzuwarten, klopfte er mit dem Zeigefinger leicht auf das Glas seiner breiten Armbanduhr. »Aber ich muss jetzt los. Viel Spaß mit dem Video.«
    Als die Tür hinter Ivarsson ins Schloss fiel, nahm Beate Harry die VHS-Kassette ab, die gleich darauf mit einem summenden Geräusch im Abspielgerät verschwand.
    »Zwei Haare«, sagte sie. »Im linken Handschuh. Von den Knöcheln. Und die Müllkippe war in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher