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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte
Autoren: Jo Nesbø
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Karihaugen, nicht in Alnabru. Aber das mit den vier Jahren stimmt.«
    Harry sah sie verblüfft an. »War das nicht eine ganze Weile vor deiner Zeit?«
    Sie zuckte mit den Schultern, während sie den Play-Knopf auf der Fernbedienung drückte. »Man muss doch bloß die Berichte lesen.«
    »Mm«, sagte Harry und betrachtete sie genauer von der Seite. Dann machte er es sich auf dem Stuhl bequem. »Mal sehen, ob der da ein paar Knöchelhaare für uns hat.«
    Es klickte leise im Videogerät und Beate löschte das Licht. Während ihnen das blaue Pausenbild entgegenstrahlte, startete in Harrys Kopf ein ganz anderer Film. Er war kurz, dauerte nur ein paar Sekunden, eine in blaues Stroboskoplicht getauchte Szene aus dem Waterfront, einem längst geschlossenen Club in Aker Brygge. Er wusste damals nicht, wie sie hieß, die Frau mit den lachenden, braunen Augen, die ihm durch die Musik etwas zuzurufen versuchte. Es lief Power Pop. Green on Red. Jason and The Scorchers. Er hatte Jim Beam in seine Cola gekippt und darauf geschissen, wie sie hieß. Doch am nächsten Abend, als sie alle Vertäuungen des Bettes mit dem kopflosen Pferd auf dem Bettpfosten gelöst und sich auf ihre Jungfernfahrt begeben hatten, wusste er es. Harry spürte die gleiche Wärme in seinem Bauch wie am Tag zuvor, als er ihre Stimme im Telefon gehört hatte.
    Dann begann der andere Film.
    Der alte Mann hatte seine Polarexpedition zum Schalter begonnen und wurde alle fünf Sekunden aus einem anderen Kamerawinkel gefilmt.
    »Thorkildsen, TV2«, sagte Beate.
    »Nein, August Schultz«, sagte Harry.
    »Ich meine die Regie«, erwiderte sie. »Das trägt die Handschrift von Thorkildsen bei TV2. Da fehlen immer wieder Bruchteile von Sekunden …«
    »Fehlen? Wie siehst du …«
    »An verschiedenen Sachen. Pass auf den Hintergrund auf. Der rote Mazda, den du hinten auf der Straße erkennst, war bei zwei Kameras mitten im Bild, als die Perspektive wechselte. Ein Objekt kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.«
    »Meinst du, da hat jemand an dem Band herumgespielt?«
    »Nein, nein. Alle Aufnahmen der sechs Kameras in der Bank und der einen draußen werden gleichzeitig auf ein Band gespielt. Auf dem Originaltape wechselt das Bild blitzschnell von Kamera zu Kamera, so dass das nur ein Geflimmer ist. Deshalb muss der Film redigiert werden, damit man längere, zusammenhängende Sequenzen erhält. Manchmal, wenn wir selbst nicht genug Zeit haben, wird das von irgendwelchen Leuten vom Fernsehen gemacht. Fernsehleute wie Thorkildsen nehmen es manchmal nicht so genau mit dem Zeitcode, damit es etwas schöner aussieht, nicht so abgehackt. Eine Berufsneurose, denke ich.«
    »Berufsneurose«, wiederholte Harry. Das Wort erschien ihm seltsam altmodisch für ein so junges Mädchen. Oder war sie vielleicht doch nicht so jung, wie er zuerst gedacht hatte? Etwas war mit ihr geschehen, kaum dass das Licht gelöscht worden war, die Silhouette ihres Körpers schien entspannter, die Stimme fester.
    Der Bankräuber betrat die Filiale und rief etwas auf Englisch. Die Stimme klang fern und dumpf, wie in eine Decke gehüllt.
    »Was hältst du davon?«, fragte Harry.
    »Norwegisch. Er spricht Englisch, damit wir keinen Dialekt, Akzent oder sonst irgendwelche typischen Worte erkennen können, die wir mit irgendwelchen früheren Banküberfällen in Verbindung bringen könnten. Er trägt glatte Kleider, die keine Fasern verlieren, die wir in irgendwelchen Fluchtautos, verdeckten Wohnungen oder zu Hause bei ihm wiederfinden könnten.«
    »Mm, und sonst?«
    »Alle Kleidungsöffnungen sind verklebt, um keine DNA-Spuren wie Haare oder Schweiß zu hinterlassen. Du kannst erkennen, dass die Hosenbeine an die Stiefel und die Ärmel an die Handschuhe geklebt sind. Ich möchte darauf wetten, dass sein ganzer Kopf mit Klebeband umwickelt ist und er sich Wachs auf die Augenbrauen geschmiert hat.«
    »Ein Profi also?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Achtzig Prozent aller Bankraube sind weniger als eine Woche vorher geplant worden und werden von Leuten begangen, die unter Drogen oder Alkohol stehen. Dieser Überfall war vorbereitet und der Täter wirkt nüchtern.«
    »Woran kannst du das erkennen?«
    »Wenn wir perfektes Licht hätten und bessere Kameras, könnten wir die Bilder vergrößern und uns die Pupillen ansehen. Aber das haben wir nicht, weshalb ich seine Körpersprache deuten muss. Ruhige, gut überlegte Bewegungen, siehst du? Wenn er etwas genommen hat, dann sicher kein Speed oder irgendwelche
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