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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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ben Gorion, Joseph von Arimatäa und Rabban Gamaliel) mit Jesus sympathisierten. Daher ist die Aussage, dass alle Richter für das Todesurteil stimmten, nicht nur unglaubwürdig – ein solch einstimmiges Urteil ist verboten (Sanhedrin 17a: ›Rabbi Kahana sagte: Wenn der Sanhedrin einstimmig für schuldig erkennt, so wird der Angeklagte freigesprochen‹). Einstimmige Urteile waren also prozessrechtlich ausgeschlossen. Warum ist keiner der Richter aufgestanden und hat Jesus verteidigt? Wieso hat sich keines der Ratsmitglieder zu Jesus als dem gesalbten König bekannt? Warum hat keiner der pharisäischen Rabbinen (Jesus war pharisäischer Rabbi) unter Protest die Prozesssitzung verlassen, die offenbar rechtswidrig war (bei weniger als 23 Richtern wäre ein Todesurteil nicht mehr beschlussfähig gewesen)? Und noch eine Frage bleibt unbeantwortet: Warum hat keiner von den bekannten Rabbinen wie Nakdimon ben Gorion oder Gamaliel über diesen spektakulären Prozess geschrieben? Auf Grund der vielen Verstöße gegen die jüdische Rechtspraxis kann ein solcher Prozess vor dem Hohen Rat nicht stattgefunden haben. Zudem hätte Joseph ben Kajafa davon abgesehen, den Sanhedrin einzuberufen. Denn er hätte mit dem erbitterten Widerstand der Pharisäer, die im Hohen Rat die Mehrheit hatten, rechnen müssen. Die Anklage der Gotteslästerung wäre von den pharisäischen Rabbinen zurückgewiesen worden. Und die anderen Delikte – Anmaßung des Messiastitels und Rebellion gegen Rom – wären von ihnen als patriotische Taten begrüßt worden.
    • Der Prozess. Angesichts der widersprüchlichen Evangelienüberlieferungen ist es nicht sicher, ob die Anklage gegen Jesus in einem formellen Gerichtsverfahren vor dem gesamten Sanhedrin oder lediglich im Zuge einer Untersuchung erhoben wurde, die der Hohe Priester Joseph ben Kajafa durchführte. Es wird auch nicht klar, wie viele Sitzungen des Sanhedrin in jener Nacht mit wie vielen Ratsmitgliedern stattgefunden haben sollen – Matthäus und Markus berichten von zwei, Lukas nur von einer, Johannes von gar keiner Sitzung des Sanhedrin. (Im antijüdischen Johannes-Evangelium gibt es keinen jüdischen Prozess!) Zudem ist nicht erwiesen, dass ein Urteil gefällt wurde, und falls ja, welches. Das Todesurteil – Steinigung? Die Auslieferung an Pontius Pilatus – Tod am Kreuz?
    • Das Urteil. Nach damals geltendem Recht musste ein Todesurteil durch den römischen Präfekten bestätigt werden, dem das ius gladii (lat. Schwertrecht) zustand, d. h. nur er durfte das Urteil auch vollstrecken lassen. Der Sanhedrin hätte vier Todesurteile verhängen können: Steinigung, Verbrennung, Enthauptung oder Erwürgen. Im Falle einer Verurteilung Jesu wegen eines religiösen Vergehens wie der Gotteslästerung hätte der Sanhedrin ein Todesurteil fällen und es nach der Bestätigung durch den römischen Präfekten auf jüdische Weise vollziehen können. Die Kreuzigung ist jedoch eine römische Hinrichtung.
    • Die Auslieferung Jesu durch Pilatus an Herodes Antipas (Lk 23,7–12) ist unhistorisch und wird auch nur vom Evangelisten Lukas überliefert. In Jesu Heimat Galiläa übte der Tetrarch die Gerichtshoheit aus (er ließ Johannes den Täufer hinrichten), nicht jedoch in Jerusalem. Zudem ist nicht erwiesen, dass er zum Zeitpunkt des Prozesses in der Stadt war. Es ist unwahrscheinlich, dass Pontius Pilatus, der erst wenige Monate zuvor Galiläer im Tempel ermordet haben soll (Lk 13,1), einen galiläischen Rebellen an den Tetrarchen ausgeliefert hat. Mit dieser Handlung hätte er sich selbst seiner Autorität und Glaubwürdigkeit als römischer Präfekt von Judäa beraubt. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass Herodes Antipas Jesus nach einer Befragung an Pilatus zurückgeschickt haben soll. Die Evangelien berichten an mehreren Stellen, dass Herodes Antipas Jesus verfolgen ließ, um ihn wie zuvor Johannes den Täufer hinzurichten (Mk 6,14–16, Lk 13,31).
    • Die Selbstverfluchung der Juden (Mt 27,25: ›Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!‹) ist ein alttestamentliches Zitat aus dem 2. Buch Samuel 1,16. Sie ist nicht historisch. Und selbst wenn dieser Fluch gesprochen worden wäre, hätte Jesus in Lk 23,34 die Schuld vergeben: ›Vater, vergib ihnen. Denn sie wissen nicht, was sie tun!‹

    Der jüdische Prozess ist eine dramatische Inszenierung der Evangelisten, um die Schuld an Jesu Tod den Juden zuzuschieben und die Römer zu entlasten. Nach den Christenverfolgungen durch den Kaiser Nero
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