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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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ihm gehört: die Münze mit seinem Bild und seinem Namen Tiberius Caesar, die nach römischem Recht sein Eigentum ist und nach jüdischem Recht ein Verstoß gegen das Gebot, sich kein Bildnis zu machen. Und gib Gott, was Gott gehört: Du, Kind Israels, und alles, was dein ist, gehören Gott!‹), Rebellion gegen die römische Besatzungsmacht (›Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert‹ und ›Nur wer bereit ist, den Tod am Kreuz zu riskieren, soll mir nachfolgen‹). Der Präfekt Pontius Pilatus war in diesem Fall der zuständige Richter, nicht der Sanhedrin oder sein Vorsitzender, der Hohe Priester Joseph ben Kajafa.
    Der Sanhedrin ist das oberste jüdische Gericht. Er besteht aus 70 Mitgliedern (Sadduzäer und Pharisäer) unter Vorsitz des amtierenden Hohen Priesters als 71. Ratsmitglied. Die Einberufung einer Sitzung aller 71 Richter noch in der Nacht der Festnahme wäre eine bemerkenswerte organisatorische Leistung gewesen.
    • Die Auslieferung Jesu an Hannas ben Sethi oder Joseph ben Kajafa durch die römischen Legionäre ist nicht historisch. Nur Johannes berichtet von der Voruntersuchung durch den ›Hohen Priester‹ Hannas – Hannas ben Sethi war jedoch schon rund fünfzehn Jahre zuvor durch den Präfekten Valerius Gratus seines Amtes enthoben worden. Matthäus, Markus und Lukas hingegen lassen den amtierenden Hohen Priester Joseph ben Kajafa die Voruntersuchung führen. Joseph ben Kajafa war vom römischen Präfekten Valerius Gratus ernannt worden, und er blieb auch unter dessen Nachfolger Pontius Pilatus im Amt. Seit dem Jahr 6 (Judäa wurde römische Provinz) wurden die Hohen Priester nicht mehr auf Lebenszeit ernannt, sondern durch die römischen Präfekten nach Belieben ernannt und abgesetzt, wobei erhebliche Bestechungsgelder flossen. ›Und da man Geld zahlte, um Hoher Priester zu werden, setzten die Präfekten sie alle zwölf Monate ab‹ (Talmud Joma 8b). Der pro-römische Hohe Priester Joseph ben Kajafa blieb im Gegensatz zu seinen Vorgängern achtzehn Jahre im Amt (18–36) und wurde gleichzeitig mit Pontius Pilatus seines Amtes enthoben. Pilatus wurde im Jahr 36 wegen Amtsmissbrauchs entlassen – er hatte ein sinnloses Blutbad angerichtet. Das lange Zusammenwirken von Pontius Pilatus und Joseph ben Kajafa und der gleichzeitige Amtsverlust im Jahr 36 lassen darauf schließen, dass der Vorsitzende des Sanhedrin in beträchtlichem Maße mit Rom kooperiert hat.
    • Die Aufgabe des Hohen Priesters war nicht einfach: Zum einen musste er die Befehle des römischen Präfekten ausführen, zum anderen musste er die Belange des jüdischen Volkes gegenüber Rom vertreten. Da der Hohe Priester durch den römischen Präfekten ernannt wurde und ihm Rechenschaft schuldig war, versuchte er die inneren jüdischen Angelegenheiten effizient und ohne Konflikt zu regeln, damit es keinen Anlass zu einer römischen Intervention gab – das hätte seine Absetzung nach sich ziehen können. Neben seiner Funktion als Vorsitzender des Sanhedrin hatte der Hohe Priester die Aufgabe, gegen Rebellen, die der römischen Besatzungsmacht Widerstand leisteten, zu ermitteln, sie festzunehmen und zu verhören. Falls er den Angeklagten für schuldig befand, lieferte er ihn zur Verurteilung an den römischen Präfekten aus. Diese Funktion aber kann Joseph ben Kajafa bei der Festnahme Jesu nicht ausgeübt haben, da Jesus nicht von jüdischen Bewaffneten festgenommen worden war, sondern, wie Matthäus und Johannes berichten, von römischen Legionären.
    • Die Anklage: Anmaßung des Messiastitels. Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas lassen Joseph ben Kajafa den angeklagten Jesus bedrängen, zu gestehen, dass er ›der Messias, der Sohn Gottes‹ sei (Mt 26,63–64, Mk 14,61, Lk 22,67–68). Der Anklagepunkt ist absurd – erstens, weil die Annahme des Titels des Maschiach kein Straftatbestand war (den Titel Maschiach trugen alle gesalbten Könige und Hohen Priester und hundert Jahre später auch Schimon Bar-Kochba – keiner von ihnen wurde angeklagt), zweitens, weil die Formulierung des Messias-Titels in den Evangelien die spätere christliche Definition des Messias als Gottessohn und Welterlöser widerspiegelt, nicht die jüdische Erwartung eines gesalbten Königs (ha-Melech ha-Maschiach). Jeder Jude konnte Messias werden, wenn er bereit war, die Verantwortung zu tragen und genügend Anhänger fand. Die Annahme des Messiastitels ist also keine Gotteslästerung, die mit dem Tod bestraft werden
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