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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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muss. Gotteslästerung im Sinne von Exodus 20,7, Deuteronomium 5,11 und Levitikus 24,16 ist das Aussprechen des heiligen Gottesnamens (Sanhedrin 7,5), was Jesus in den Evangelien nie getan hat. Wenn der Sanhedrin, wie die Evangelisten nahelegen, die Absicht gehabt hätte, Jesus hinrichten zu lassen, wäre die Anklage der Gotteslästerung für einen römischen Prozess nicht aussichtsreich gewesen. Warum sollen die jüdischen Richter einen Prozess gegen Jesus durchgeführt haben, wenn sie doch von vornherein wissen mussten, dass der Anklagepunkt Gotteslästerung für das römische Todesurteil (in einem römischen Prozess) bedeutungslos sein würde und die Anklage in Anmaßung der Königswürde, Aufruf zur Steuerverweigerung und Rebellion gegen Rom geändert werden musste? Der Prozess vor dem Sanhedrin war sinnlos.
    • Die Anklage: Anmaßung des Königstitels. Während des jüdischen Prozesses sind Jesu Ansprüche auf den jüdischen Thron nicht verhandelt worden. Und doch ist der Königstitel die Begründung für die Auslieferung an den Präfekten und die Anklage vor Pontius Pilatus. Jesus wird als ›Rex Iudaeorum‹ gekreuzigt ( INRI -Schild am Kreuz). Die Evangelisten stellen die Anklage im römischen Prozess so dar, als hätten die Juden, dieses widerspenstige und rebellische Volk, aus purer Loyalität gegenüber der Besatzungsmacht Rom den Rebellen Jesus an Pilatus ausgeliefert.
    • Die Zeugen. Nach jüdischem Recht war eine Verurteilung nur auf Grund der übereinstimmenden Aussagen zweier Zeugen möglich. ›Die Hohen Priester aber und der ganze Hohe Rat suchten falsches Zeugnis gegen Jesus, um ihn zu Tode zu bringen, und sie fanden keins, obwohl viele falsche Zeugen herzutraten‹ (Mt 26,59–60). Woher kamen mitten in der Nacht (Sedernacht des Pessach-Festes oder Nacht nach Schemini Atzeret, dem achten Sukkot-Tag) die Zeugen? Wenn es falsche Zeugen waren, warum waren sie nicht besser vorbereitet? Wieso sollte Jesus zu Zeugenaussagen Stellung nehmen, deren Argumentation doch bereits in sich zusammengebrochen war? Das Schweigen des Angeklagten galt zwar nach römischem, nicht jedoch nach jüdischem Recht als Geständnis.
    • Die Prozesssitzung des Sanhedrin. Die Beschreibung des jüdischen Prozesses widerspricht der jüdischen Rechtspraxis, die im Talmud im Traktat Sanhedrin beschrieben ist. Prozesssitzungen mussten in einer Halle des Tempels stattfinden, nicht im Haus des Hohen Priesters (Sanhedrin 11,2, Deuteronomium 17,8). Über Kapitalverbrechen durfte nur am Tag verhandelt werden (Sanhedrin 4,1), doch laut den Berichten von Matthäus, Markus und Lukas trat der Hohe Rat noch während der Nacht zusammen. ›Verhandlungen über Todesstrafsachen werden am Tage geführt und müssen auch am Tage geschlossen werden. Bei Todesstrafsachen jedoch kann das Urteil am selben Tag nur zugunsten gefällt werden, zuungunsten aber erst am folgenden Tag. Daher wird weder am Vorabend des Sabbats noch am Vorabend des Festes Gericht abgehalten‹ (Sanhedrin 4,1). Ein Todesurteil durfte also nie am Tag der Verhandlung, sondern erst einen Tag später gefällt werden. Die Verhandlung über Kapitalverbrechen begann mit der Verteidigung des Angeklagten – erst danach wurden die Belastungszeugen gehört (Sanhedrin 4,1). In solchen Prozessen konnte der Freispruch auf Grund der Aussage eines einzigen Zeugen erfolgen, ein Todesurteil konnte jedoch nur nach übereinstimmenden Aussagen von mindestens zwei Zeugen gefällt werden (Sanhedrin 4,1d, Deuteronomium 17,6 und 19,15). Die Evangelien berichten nichts von einer Verteidigung Jesu durch einen der Richter, nicht einmal durch die Ratsmitglieder Nakdimon ben Gorion oder Joseph von Arimatäa. Dabei haben sich beide nur 12 Stunden später für sein ehrenvolles Begräbnis eingesetzt, seinen Körper gewaschen und gesalbt. Ein Verfahren ohne Verteidigung des Angeklagten war rechtswidrig. Eine rechtskräftige Verurteilung benötigte die belastenden Aussagen von mindestens zwei Zeugen, die getrennt voneinander befragt wurden (Sanhedrin 4,1). Wenn sich die Zeugen widersprachen, war ihr Zeugnis ungültig. In den Evangelien ist ausdrücklich von falschen Zeugen die Rede, auf deren Aussagen sich der Prozess stützte. Ein Todesurteil durch alle Ratsmitglieder (Mk 14,64) widerspricht ebenfalls der Rechtspraxis (Sanhedrin 4,1), da einer der Richter als Verteidiger (ohne Stimmrecht gegen den Angeklagten) fungierte. Die Evangelienberichte betonen, dass mindestens drei Mitglieder des Sanhedrin (Nakdimon
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