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Die Erziehung des Menschengeschlechts

Die Erziehung des Menschengeschlechts

Titel: Die Erziehung des Menschengeschlechts
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Voelker, die selbst in der Erkenntniss Gottes vor dem erwaehlten Volke noch bis itzt einen Vorsprung zu haben schienen, nichts gegen die Offenbarung. Das Kind der Erziehung faengt mit langsamen aber sichern Schritten an; es hohlt manches gluecklicher organisirte Kind der Natur spaet ein; aber es hohlt es doch ein, und ist alsdann nie wieder von ihm einzuholen.
    Sec.. 22.
    Auf gleiche Weise. Dass,—die Lehre von der Einheit Gottes bey Seite gesetzt, welche in den Buechern des Alten Testaments sich findet, und sich nicht findet—dass, sage ich, wenigstens die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, und die damit verbundene Lehre von Strafe und Belohnung in einem kuenftigen Leben, darum voellig fremd sind: beweiset eben so wenig wider den goettlichen Ursprung dieser Buecher. Es kann dem ohngeachtet mit allen darinn enthaltenen Wundern und Prophezeyungen seine gute Richtigkeit haben. Denn lasst uns setzen, jene Lehren wuerden nicht allein darinn vermisst, jene Lehren waeren auch sogar nicht einmal wahr, lasst uns setzen, es waere wirklich fuer die Menschen in diesem Leben alles aus: waere darum das Daseyn Gottes minder erwiesen? stuende es darum Gotte minder frey, wuerde es darum Gotte minder ziemen, sich der zeitlichen Schicksale irgend eines Volks aus diesem vergaenglichen Geschlechte unmittelbar anzunehmen? Die Wunder, die er fuer die Juden that, die Prophezeyungen, die er durch sie aufzeichnen liess, waren ja nicht blos fuer die wenigen sterblichen Juden, zu deren Zeiten sie geschahen und aufgezeichnet wurden: er hatte seine Absichten damit auf das ganze juedische Volk, auf das ganze Menschengeschlecht, die hier auf Erden vielleicht ewig dauern sollen, wenn schon jeder einzelne Jude, jeder einzelne Mensch auf immer dahin stirbt.
    Sec.. 23.
    Noch einmal. Der Mangel jener Lehren in den Schriften des Alten Testaments beweiset wider ihre Goettlichkeit nichts. Moses war doch von Gott gesandt, obschon die Sanktion seines Gesetzes sich nur auf dieses Leben erstreckte. Denn warum weiter? Er war ja nur an das Israelitische Volk, an das damalige Israelitische Volk gesandt: und sein Auftrag war den Kenntnissen, den Faehigkeiten, den Neigungen dieses Die Erziehung des Menschengeschlechts
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    Die Erziehung des Menschengeschlechts
    damaligen israelitischen Volks, so wie der Bestimmung des kuenftigen, vollkommen angemessen. Das ist genug.
    Sec.. 24.
    So weit haette Warburton auch nur gehen muessen, und nicht weiter. Aber der gelehrte Mann ueberspannte den Bogen. Nicht zufrieden, dass der Mangel jener Lehren der goettlichen Sendung Mosis nichts schade: er sollte ihm die goettliche Sendung Mosis sogar beweisen. Und wenn er diesen Beweis noch aus der Schicklichkeit eines solchen Gesetzes fuer ein solches Volk zu fuehren gesucht haette! Aber er nahm seine Zuflucht zu einem von Mose bis auf Christum ununterbrochen fortdaurenden Wunder, nach welchem Gott einen jeden einzeln Juden gerade so gluecklich oder ungluecklich gemacht habe, als es dessen Gehorsam oder Ungehorsam gegen das Gesetz verdiente. Dieses Wunder habe den Mangel jener Lehren, ohne welche kein Staat bestehen koenne, ersetzt; und eine solche Ersetzung eben beweise, was jener Mangel, auf den ersten Anblick, zu verneinen scheine.
    Sec.. 25.
    Wie gut war es, dass Warburton dieses anhaltende Wunder, in welches er das Wesentliche der Israelitischen Theokratie setzte, durch nichts erhaerten, durch nichts wahrscheinlich machen konnte. Denn haette er das gekonnt; wahrlich—alsdenn erst haette er die Schwierigkeit unaufloeslich gemacht.—Mir wenigstens.—Denn was die Goettlichkeit der Sendung Mosis wieder herstellen sollte, wuerde an der Sache selbst zweifelhaft gemacht haben, die Gott zwar damals nicht mittheilen, aber doch gewiss auch nicht erschweren wollte.
    Sec.. 26.
    Ich erklaere mich an dem Gegenbilde der Offenbarung. Ein Elementarbuch fuer Kinder, darf gar wohl dieses oder jenes wichtige Stueck der Wissenschaft oder Kunst, die es vortraegt, mit Stillschweigen uebergehen, von dem der Paedagog urtheilte, dass es den Faehigkeiten der Kinder, fuer die er schrieb, noch nicht angemessen sey. Aber es darf schlechterdings nichts enthalten, was den Kindern den Weg zu den zurueckbehaltnen wichtigen Stuecken versperre oder verlege. Vielmehr muessen ihnen alle Zugaenge zu denselben sorgfaeltig offen gelassen werden: und sie nur von einem einzigen dieser Zugaenge ableiten, oder verursachen, dass sie denselben spaeter betreten, wuerde allein die Unvollstaendigkeit des Elementarbuchs
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