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Die Erziehung des Menschengeschlechts

Die Erziehung des Menschengeschlechts

Titel: Die Erziehung des Menschengeschlechts
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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zu Gott, geleitet werden koennen, auf welche die menschliche Vernunft von selbst nimmermehr gekommen waere?
    Sec.. 78.
    Es ist nicht wahr, dass Speculationen ueber diese Dinge jemals Unheil gestiftet, und der buergerlichen Gesellschaft nachtheilig geworden.— Nicht den Speculationen: dem Unsinne, der Tyranney, diesen Speculationen zu steuern; Menschen, die ihre eigenen hatten, nicht ihre eigenen zu goennen, ist dieser Vorwurf zu machen.
    Sec.. 79.
    Vielmehr sind dergleichen Speculationen—moegen sie im Einzeln doch ausfallen, wie sie wollen—unstreitig die schicklichsten Uebungen des menschlichen Verstandes ueberhaupt, so lange das menschliche Herz ueberhaupt, hoechstens nur vermoegend ist, die Tugend wegen ihrer ewigen glueckseligen Folgen zu lieben.
    Sec.. 80.
    Denn bey dieser Eigennuetzigkeit des menschlichen Herzens, auch den Verstand nur allein an dem ueben wollen, was unsere koerperlichen Beduerfnisse betrift, wuerde ihn mehr stumpfen, als wetzen heissen. Er will schlechterdings an geistigen Gegenstaenden geuebt seyn, wenn er zu seiner voelligen Aufklaerung gelangen, und diejenige Reinigkeit des Herzens hervorbringen soll, die uns, die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben, faehig macht.
    Sec.. 81.
    Oder soll das menschliche Geschlecht auf diese hoechste Stufen der Aufklaerung und Reinigkeit nie kommen? Nie?
    Sec.. 82.
    Nie?—Lass mich diese Laesterung nicht denken, Allguetiger!—Die Erziehung hat ihr Ziel; bey dem Geschlechte nicht weniger als bey dem Einzeln. Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen.
    Sec.. 83.
    Die schmeichelnden Aussichten, die man dem Juenglinge eroefnet; die Ehre, der Wohlstand, die man ihm vorspiegelt: was sind sie mehr, als Mittel, ihn zum Manne zu erziehen, der auch dann, wenn diese Aussichten der Ehre und des Wohlstandes wegfallen, seine Pflicht zu thun vermoegend sey.
    Sec.. 84.
    Darauf zwecke die menschliche Erziehung ab: und die goettliche reiche dahin nicht? Was der Kunst mit dem Einzeln gelingt, sollte der Natur nicht auch mit dem Ganzen gelingen? Laesterung! Laesterung!
    Sec.. 85.
    Nein; sie wird kommen, sie wird gewiss kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je ueberzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fuehlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgruende Die Erziehung des Menschengeschlechts
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    Die Erziehung des Menschengeschlechts
    zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht noethig haben wird; da er das Gute thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkuehrliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem blos heften und staerken sollten, die innern bessern Belohnungen desselben zu erkennen.
    Sec.. 86.
    Sie wird gewiss kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbuechern des Neuen Bundes versprochen wird.
    Sec.. 87.
    Vielleicht, dass selbst gewisse Schwaermer des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten; und nur darum irrten, dass sie den Ausbruch desselben so nahe verkuendigten.
    Sec.. 88.
    Vielleicht war ihr dreyfaches Alter der Welt keine so leere Grille; und gewiss hatten sie keine schlimme Absichten, wenn sie lehrten, dass der Neue Bund eben so wohl antiquiret werden muesse, als es der Alte geworden. Es blieb auch bey ihnen immer die nehmliche Oekonomie des nehmlichen Gottes. Immer—sie meine Sprache sprechen zu lassen—der nehmliche Plan der allgemeinen Erziehung des Menschengeschlechts.
    Sec.. 89.
    Nur dass sie ihn uebereilten; nur dass sie ihre Zeitgenossen, die noch kaum der Kindheit entwachsen waren, ohne Aufklaerung, ohne Vorbereitung, mit Eins zu Maennern machen zu koennen glaubten, die ihres dritten Zeitalters wuerdig waeren.
    Sec.. 90.
    Und eben das machte sie zu Schwaermern. Der Schwaermer thut oft sehr richtige Blicke in die Zukunft: aber er kann diese Zukunft nur nicht erwarten. Er wuenscht diese Zukunft beschleuniget; und wuenscht, dass sie durch ihn beschleuniget werde. Wozu sich die Natur Jahrtausende Zeit nimmt, soll in dem Augenblicke seines Daseyns reifen. Denn was hat er davon, wenn das, was er fuer das Bessere erkennt, nicht noch bey seinen Lebzeiten das Bessere wird? Koemmt er wieder? Glaubt er wieder zu kommen?—Sonderbar, dass diese Schwaermerey allein unter den Schwaermern nicht mehr Mode werden will!
    Sec..91.
    Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! Nur lass mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln.—Lass mich an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine
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