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Die Erziehung des Menschengeschlechts

Die Erziehung des Menschengeschlechts

Titel: Die Erziehung des Menschengeschlechts
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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einzelnes Volk zu seiner besondern Erziehung; und eben das ungeschliffenste, das verwildertste, um mit ihm ganz von vorne anfangen zu koennen.
    Sec.. 9.
    Diess war das Israelitische Volk, von welchem man gar nicht einmal weiss, was es fuer einen Gottesdienst in Aegypten hatte. Denn an dem Gottesdienste der Aegyptier durften so verachtete Sklaven nicht Theil nehmen: und der Gott seiner Vaeter war ihm gaenzlich unbekannt geworden.
    Sec.. 10.
    Die Erziehung des Menschengeschlechts
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    Die Erziehung des Menschengeschlechts
    Vielleicht, dass ihm die Aegyptier allen Gott, alle Goetter ausdruecklich untersagt hatten; es in den Glauben gestuerzt hatten, es habe gar keinen Gott, gar keine Goetter; Gott, Goetter haben, sey nur ein Vorrecht der bessern Aegyptier: und das, um es mit so viel groesserm Anscheine von Billigkeit tyrannisiren zu duerfen.—Machen Christen es mit ihren Sklaven noch itzt viel anders?—
    Sec.. 11.
    Diesem rohen Volke also liess sich Gott anfangs blos als den Gott seiner Vaeter ankuendigen, um es nur erst mit der Idee eines auch ihm zustehenden Gottes bekannt und vertraut zu machen.
    Sec.. 12.
    Durch die Wunder, mit welchen er es aus Aegypten fuehrte, und in Kanaan einsetzte, bezeugte er sich ihm gleich darauf als einen Gott, der maechtiger sey, als irgend ein andrer Gott.
    Sec.. 13.
    Und indem er fortfuhr, sich ihm als den Maechtigsten von allen zu bezeugen—welches doch nur einer seyn kann,—gewoehnte er es allmaelig zu dem Begriffe des Einigen.
    Sec.. 14.
    Aber wie weit war dieser Begriff des Einigen, noch unter dem wahren transcendentalen Begriffe des Einigen, welchen die Vernunft so spaet erst aus dem Begriffe des Unendlichen mit Sicherheit schliessen lernen!
    Sec.. 15.
    Zu dem wahren Begriffe des Einigen—wenn sich ihm auch schon die Besserern des Volks mehr oder weniger naeherten—konnte sich doch das Volk lange nicht erheben: und dieses war die einzige wahre Ursache, warum es so oft seinen Einigen Gott verliess, und den Einigen, d. i. Maechtigsten, in irgend einem andern Gotte eines andern Volks zu finden glaubte.
    Sec.. 16.
    Ein Volk aber, das so roh, so ungeschickt zu abgezognen Gedanken war, noch so voellig in seiner Kindheit war, was war es fuer einer moralischen Erziehung faehig? Keiner andern, als die dem Alter der Kindheit entspricht. Der Erziehung durch unmittelbare sinnliche Strafen und Belohnungen.
    Sec.. 17.
    Auch hier also treffen Erziehung und Offenbarung zusammen. Noch konnte Gott seinem Volke keine andere Religion, kein anders Gesetz geben, als eines, durch dessen Beobachtung oder Nichtbeobachtung es hier auf Erden gluecklich oder ungluecklich zu werden hoffte oder fuerchtete. Denn weiter als auf dieses Leben gingen noch seine Blicke nicht. Es wusste von keiner Unsterblichkeit der Seele; es sehnte sich nach keinem kuenftigen Leben. Ihm aber nun schon diese Dinge zu offenbaren, welchen seine Vernunft noch so wenig gewachsen war: was wuerde es bey Gott anders gewesen seyn, als der Fehler des eiteln Paedagogen, der sein Kind lieber uebereilen und mit ihm prahlen, als gruendlich unterrichten will.
    Sec.. 18.
    Die Erziehung des Menschengeschlechts
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    Die Erziehung des Menschengeschlechts
    Allein wozu, wird man fragen, diese Erziehung eines so rohen Volkes, eines Volkes, mit welchem Gott so ganz von vorne anfangen musste? Ich antworte: um in der Folge der Zeit einzelne Glieder desselben so viel sichrer zu Erziehern aller uebrigen Voelker brauchen zu koennen. Er erzog in ihm die kuenftigen Erzieher des Menschengeschlechts. Das wurden Juden, das konnten nur Juden werden, nur Maenner aus einem so erzogenen Volke.
    Sec.. 19.
    Denn weiter. Als das Kind unter Schlaegen und Liebkosungen aufgewachsen und nun zu Jahren des Verstandes gekommen war, stiess es der Vater auf einmal in die Fremde; und hier erkannte es auf einmal das Gute, das es in seines Vaters Hause gehabt und nicht erkannt hatte.
    Sec.. 20.
    Waehrend dass Gott sein erwaehltes Volk durch alle Staffeln einer kindischen Erziehung fuehrte: waren die andern Voelker des Erdbodens bey dem Lichte der Vernunft ihren Weg fortgegangen. Die meisten derselben waren weit hinter dem erwaehlten Volke zurueckgeblieben: nur einige waren ihm zuvorgekommen. Und auch das geschieht bey Kindern, die man fuer sich aufwachsen laesst; viele bleiben ganz roh; einige bilden sich zum Erstaunen selbst.
    Sec.. 21.
    Wie aber diese gluecklichern Einige nichts gegen den Nutzen und die Nothwendigkeit der Erziehung beweisen: so beweisen die wenigen heidnischen
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