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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Autoren: Jessica Grant
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Flughafendrehtür fest, zusammen mit einem Mann und einer Mandoline. Es war kalt, und Audrey schob mich in ihre Jackentasche, während wir auf Hilfe warteten. Ich streckte den Kopf ins Freie. Die Jacke war neu. Ansonsten sah sie unverändert aus. Auf der Jacke stand CLINT’S CABS, sie war steppgefüttert und aus schwarzem Leder. Über Lautsprecher kam die Durchsage, ein Mann, eine Mandoline, eine Frau und eine Schildkröte steckten in einer Drehtür fest und jemand vom Wartungsspersonal möge sich doch bitte umgehend darum kümmern. Nicht lange, und eine Zuschauermenge hatte sich versammelt. Das war mein erster Eindruck von Kanada.
    Ich war müde und benommen, weil ich den größten Teil der Reise kopfüber in einer Lattenkiste verbracht hatte, an deren Innenwand eine Nachricht von Cliff befestigt war. Die Nachricht bestand aus zwei Sätzen. Ich las sie x-mal. Ich weiß, dass Du zu einer Schildkröte nicht Nein sagen wirst. Das mit Deinem Dad tut mir schrecklich leid. Alles Liebe, Cliff. Okay, drei Sätze.
    Der Zoll hatte anscheinend noch nie eine Schildkröte gesehen, was ich, gelinde gesagt, entwürdigend fand.
    Auf dem Flug nach St. John’s dann wurde ich in einem Gepäckfach hinter dem Cockpit verstaut und hörte, wie der Pilot zu den Passagieren sagte: Wir haben heute eine Schildkröte an Bord, was unsere Fluggeschwindigkeit jedoch hoffentlich nicht beeinträchtigen wird, haha. Das war vermutlich der metrische Humor, von dem ich schon so viel gehört hatte. Gewöhnungsbedürftig, wenn Sie mich fragen.
    Audrey holte mich am Flughafen ab. In ihren Nickhäuten standen Tränen, als sie mich aus der Kiste nahm und an ihre Brust drückte.
    Mir fiel auf, wie professionell sie in der schwarzen Jacke aussah.
    Als wir schließlich aus der Drehtür traten, trieb mich ein eisiger Windstoß schnurstracks in meinen Panzer zurück. Inzwischen habe ich mich darauf eingestellt. Ein auf Hochglanz poliertes Taxi erwartete uns. Ich wurde auf das Armaturenbrett gesetzt.
    Guck mal, Win, sagte sie. Schnee.
    Und tatsächlich lagen überall riesige, schmutzige Schneewehen, gegen die sich die Bäume vergleichsweise winzig ausnahmen.
    Ich wandte den Kopf und sah sie an. Sie war Taxifahrerin.
     
    Das in den Clint’s Cabs installierte GPS zeigt einem nicht nur an, wo man hinfährt und ob Schneepflüge in der Nähe sind, sondern registriert auch den gesamten Flugverkehr. Judd ist von dieser Funktion wie hypnotisiert, und wer wollte es ihm verdenken. Für Audrey ist das inzwischen ein alter Hut. Sie konzentriert sich auf ihre Arbeit und die Straße. Judd sagt, das Flugzeug werde in etwa einer Stunde landen. Der Monitor zeigt die Strecke des Flugzeugs als grüne und die unsere als rote Linie an, und er zeigt an, wo sich die beiden in etwa einer Stunde treffen werden.
    Audrey sagt, er sei vermutlich wieder nicht im Flugzeug.
    Judd sagt, das Grün des Flugzeugs leuchte heller als sonst, und das sei ein gutes Omen.
    Im Gegensatz zu mir weiß Judd natürlich nicht, dass Audrey im März, als Air Canada seine Direktverbindung zwischen London und St. John’s kurzzeitig wieder aufnahm, jede Mittwochnacht um zwölf bei eisiger Kälte zum Flughafen hinausfuhr und auf den Transatlantikflug wartete. Für alle Fälle.
    Und allein wieder nach Hause kam. Und die Tür unverschlossen ließ, damit sie mit einem kräftigen Nordwestschubs aufgestoßen werden konnte.
    Obwohl. Vielleicht weiß Judd ja doch Bescheid. Judds elektrisierende Wirkung ist jedenfalls nicht zu unterschätzen. Wenn er in der Nähe ist, erstrahlt sie wie ein Weihnachtsbaum.
    Manchmal schaut sie in mein neues, rundum verglastes Schloss – ein veritabler Glaspalast. Sie schaut in mein Schloss, und ihre Augen sehen riesengroß und traurig aus. Was jedoch auch an der verzerrenden Wirkung der Glasscheibe liegen kann. Dann schaut sie in das Schloss nebenan, in dem eine Maus wohnt.
    Tagsüber schläft die Maus. Bei Einbruch der Dunkelheit wacht sie auf und besteigt kurz darauf ihr Rad. Ihr Rad dreht sich in meine Richtung, sodass es aussieht, als käme sie ewig und immerdar mit offenen Armen auf mich zugerannt. Mäuserich, komm. Für jemanden, der so schnell läuft, muss es besonders frustrierend sein, niemals ans Ziel zu gelangen.
    Anscheinend verschwand die Maus vor nicht allzu langer Zeit, was eine internationale Suchaktion auslöste. Wenig später fand Verlaine sie im Wohnzimmer vor, wo sie seelenruhig ein Stück Lakritz vertilgte. Freche souris . Verlaine setzte sie wieder in ihren
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