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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Autoren: Jessica Grant
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kennengelernt hast. Ich weiß, dass du meinen Brief beantwortet hast. Danke, dass du meinen Dad geliebt hast. Danke, dass du zu uns gezogen bist.
    Spätestens jetzt müsstest du eigentlich die Augen öffnen. Öffne die Augen, Onkel Thoby.
    Er öffnet die Augen nicht.
     
    Ich schlafe auf dem Boden vor dem Sofa ein, mit dem Kinn auf seinem Arm, so ähnlich wie Hamlet gestern Nacht. Ich spüre seinen Puls im Unterkiefer. Eisige Luft sickert durch die Wände. Es gibt keine Heizung. Keine Heizungsschlitze. Hast du mich deswegen nicht rufen hören.
     
    I ch wache auf, als die Schaufel eines Schneepflugs über das Kopfsteinpflaster schrammt. Beten Sie, dass Sie dieses Geräusch niemals hören müssen.
    Onkel Thoby bewegt den Arm. Öffnet die Augen. Schließt sie wieder. Macht sie wieder auf, weiter diesmal. Wir starren uns an. Er sagt kein Wort. Dann zieht er sich an der Rückenlehne des Sofas hoch.
    Hallo.
    Herr im Himmel.
    Du bist wach.
    Ich habe eine Montage, dass Oddly Flowers hier ist.
    Von wegen Montage.
    Fräulein Ming im roten Umhang.
    Fallschirm, um genau zu sein.
    Wie, um alles in der Welt …
    Ich stehe auf und schlinge ihm die Arme um den Kopf. Ich erzähle ihm, dass ich eine bewegende Rede an seinem Sofa gehalten habe. Ob er sich daran erinnern könne.
    Er schüttelt den Kopf.
    Ich glaube doch.
    Und ich glaube, mir wird schlecht, sagt er. Er steht auf und geht ins Badezimmer. Ich horche auf entsprechende Geräusche, aber es bleibt alles ruhig.
    Die Sonne fällt durchs Vorderfenster und spiegelt sich funkelnd in den vielen Flaschen. Wenn ihr Anblick mir nicht solche Angst einjagen würde, fände ich sie schön. Ich schaue mich um. Neben dem Wohnzimmer ist das Schlafzimmer. Das Bett sieht aus wie ein Bett, in dem schon lange niemand mehr geschlafen hat. Auf dem Boden steht ein Heizlüfter, die Sorte mit Spiralen, die orange glühen, wenn sie heiß werden. Ich schaue an die Decke. Kein Feuermelder.
    Onkel Thoby.
    Aus dem Badezimmer: Alles in Ordnung.
    Als er wiederkommt, sind seine Augenbrauen ganz struppig und zerzaust.
    Ach, Odd.
    Schon gut.
    Mit dir habe ich nun gar nicht gerechnet.
    Hättest du mich je angerufen.
    Nicht in diesem Zustand.
    In diesem Zustand. Und wie lange hält dieser Zustand schon an. Wie lange hält man diesen Zustand aus. Ob er denn nicht wisse, dass ich eine Karyatide sei. Eine was. Eine Karyatide. Eine Säule der Gesellschaft. Eine starke Stütze. Ach so, Liebes, ja, jetzt weiß ich, was du meinst. Dann lass mich die Tide heben. Die Tide. Die Decke.
    Er setzt sich neben mich. Hält sich die Augen zu. Oddly.
    Ja.
    Was ist mit deinem Gesicht passiert.
    Ein Gerstenkorn.
    Aber wer hat dich geschlagen.
    London.
    Ach, Liebes.
    Nicht weinen.
    Ich weine nicht.
    Doch, du weinst. Außerdem habe ich Tuberkulose. Aber keine Angst.
    Es tut mir leid, sagt er. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, um auf dich aufzupassen.
    Und was ist mit dir, sage ich. Wer passt auf dich auf in diesem Pulverfass ohne Feuermelder.
     
    Penzance liegt wunderschön am Meer, hieß es in der Onkel-Thoby-Biografie von meinem Dad. Er hatte recht. Der Strand unterhalb von Onkel Thobys Haus ist breit und weiß. Fünf Zentimeter Schnee bedecken den Sand. Die Palmen flattern schwarz. Wir gehen erst ein Stück die Tremorden Lane entlang und folgen dann einem schmalen Pfad hinab zum Strand.
    Er will wissen, wie ich ihn gefunden habe. Deduktives Denken, sage ich. Oder auch induktives. Er sieht mich fragend an. Was, sagt er. Vergiss es. Sagen wir einfach, ich habe aus dem Füllhorn der Weisheit getrunken, und belassen wir’s dabei. Stimmt, sagt er. Okay.
    Es ist windig und kalt. Ich bin in meinen Fallschirm gehüllt. Onkel Thoby trägt einen Mantel, den ich noch nie gesehen habe, und seine orangenen Handschuhe.
    Am Strand gibt es zwei ausgewaschene Felsbrocken, die wie riesige Schildkröten aussehen. Man kann in ihnen sitzen wie in einem Lehnsessel. Sie sind sanft und glatt wie das Meer. Dabei ist das Meer heute weder sanft noch glatt. Im Gegenteil. Es ist grün und aufgewühlt wie ein verdorbener Magen.
    Onkel Thoby befreit die Felsbrocken vom Schnee, und wir setzen uns.
    Seine Beine zittern. Der Wind verweht seine Piratenhaare. Er sieht aus, als ob er abgenommen hätte. Isst er richtig. Als wir aus dem Haus kamen, stand ein Korb mit Lebensmitteln draußen auf der Treppe. Von Mabel, sagte er. Penzance hegt und verpflegt seine Piraten.
    Schön. Und vielleicht sogar ganz gut. Aber wer ist Mabel. Nicht ich. Nicht verwandt und
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