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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Autoren: Jessica Grant
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nicht verschwägert. Und hier ist nicht zu Hause.
    He, guck mal, sage ich und zeige mit ausgestrecktem Arm zum Horizont. Guck mal, da ist Neufundland.
    Frankreich, um genau zu sein.
    Und wenn schon. Ich klopfe den Schnee von meinen Stiefeln.
    Oddly …
    Ich komme mir vor wie am Ende einer Shirley-MacLaine-Biografie.
    Er nickt. Dann: Hast du überhaupt eine Shirley-MacLaine-Biografie zu Ende gelesen.
    Nein. Aber sie kann eigentlich gar nicht anders aufhören. Wir beide am Strand, nachdem ich dich gerettet habe. Und dann gehen wir nach Hause.
    Seine orangenen Handschuhe wandern langsam Richtung Knie. Oddly.
    Fehlt eigentlich nur ein Hund. Dessen Ohren im Wind flattern.
    Odd.
    Wehe, du sagst, was ich denke, dass du sagen willst.
    Ich kann nicht mit nach Hause kommen.
    Dann gehe ich auch nicht.
    Odd.
    Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich hier allein lasse, damit du dich in der Delirium Tremens Lane eingraben kannst.
     
    Vor vielen Jahren ist mein Dad genauso hierhergekommen wie ich, nur ohne den roten Umhang. Quasi über Nacht. Weil Onkel Thoby ein kleines Problem hatte. Weißt du noch. Ja. Also, eigentlich war es sogar ein ziemlich großes Problem. Er hatte nämlich seinen Job verloren. In Heathrow. Ja, in Heathrow. Außerdem hatte er Ärger mit der Polizei. Was denn für Ärger. Nun ja. Ich hatte meinen Führerschein abgeben müssen. Belassen wir’s dabei.
    Damals wohnte er in London und versuchte, sein Leben in den Griff zu kriegen. Und eine Zeit lang schien tatsächlich alles gut zu gehen. Eine Zeit lang dachte er, er könne es schaffen. Er korrespondierte mit meinem Dad, und diese Korrespondenz hielt ihn über Wasser.
    Aber dann hatte er einen Rückfall. Er stürzte ab. Er ging nach Penzance zurück. Er schlief tagaus, tagein. Und so kam mein Dad quasi über Nacht hierher. Und wenn der Richtige ans Bett des Schlafenden tritt, öffnet der Schlafende die Augen. Regel Nummer Eins.
    Mein Dad hat dich gerettet.
    Nein, ihr beide, sagt er. Ihr beide habt mich gerettet.
     
    Die Schatten der Palmen werden länger. Wir sitzen da und sehen aufs Wasser. Komisch, wie bequem so ein Felsbrocken sein kann.
    Du musst mit mir nach Hause kommen, sage ich. Wedge ist verschwunden.
    Onkel Thobys Augenbrauen schnellen himmelwärts.
    Ja, sage ich. Wedge ist verschwunden. Entführt. Gekidnappt. Leonel de Tigrel war mein letzter Verdächtiger, und er war leider nicht der, für den ich ihn gehalten hatte. Ich dachte, er wäre dieser komische Löwenheini auf der Beerdigung von meinem Dad.
    Welcher Löwenheini.
    Eben. Ich habe keine Ahnung.
    Onkel Thoby sagt, Wedge sei sicher irgendwo im Haus.
    Aber ich habe alles auf den Kopf gestellt.
    Sieht Verlaine zu Hause nach dem Rechten.
    Ich schaue ihn an. Nicke.
    Er taucht schon wieder auf.
    Und du, frage ich. Wann tauchst du wieder auf.
    Er steht auf. Komm, sagt er.
    Gleich.
    Er marschiert los. Komm.
    Nein.
    Ich sitze in meinem Felsen und warte darauf, dass er zurückkommt. Aber er kommt nicht. Er kommt nicht. Er geht einfach weiter. Und weil ich das auf den Tod nicht ausstehen kann, springe ich auf und laufe ihm nach. Aber jetzt habe ich Gegenwind, und der bauscht meinen Fallschirm. Hilfe. Er will mich in den Himmel heben und ohne dich nach Hause tragen. Und das kannst du doch unmöglich wollen. Dass er mich ohne dich nach Hause trägt.
    Ich strecke die Hand aus und ergreife seinen Arm. Ist es wegen Toff. Dann tut es ihm nämlich leid. Er hat gesagt, ich soll dir sagen, dass es ihm leidtut. Er wartet in St. Erth auf uns.
    Onkel Thoby bleibt stehen. Was.
    Er wartet in St. Erth mit einem Ölzweig.
    Toff ist in St. Erth.
    Ich nicke.
    Seit wann.
    Ich schaue auf meine Stoppuhr. Ähm. Keine Ahnung. Gestern Nachmittag.
    Ach, Oddly.
    Ach, was.
    Gib endlich Ruhe und fahr nach Hause.
    Nicht ohne dich.
    Er rafft mir den Fallschirm um die Schultern.
    Ich sehe in sein Gesicht. Klammere mich an seine Arme. Du bist hierhergekommen, um unterzutauchen. Zu verschwinden.
    Er schüttelt den Kopf. Nein.
    Ich nicke. Doch.
    Er lässt den Kopf hängen.
    Warum, frage ich.
    Er sieht mich nicht an.
    Schon gut. Ich weiß.
    Ich brauche schlicht und einfach etwas Zeit, Oddly.
    Ich sehe ihm ins Gesicht. Tief in die Augen. Ich will nicht, dass du verschwunden wirst. Versprich mir, dass du wiederkommst. Du musst es mir versprechen.
     
    Wir gehen zurück zum Haus. Meine Reisetasche habe ich in einer Ecke des Wohnzimmers geparkt. Durch das Vorderfenster sehe ich Onkel Thoby, der draußen auf der Feldsteinmauer sitzt und
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