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Die Erpresserin

Die Erpresserin

Titel: Die Erpresserin
Autoren: Carter Brown
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befreundet, nicht wahr, Mr. Holman?«
    »Ich bin jedenfalls ein
Freund.«
    Mit einer plötzlichen nervösen
Drehung ihres Halses blickte sie über ihre Schulter weg zum Haus hinüber. »Hat
er Ihnen von dem Brief erzählt?« flüsterte sie.
    »Von was für einem Brief?«
    »Der, in dem ihm von Angie
erzählt wird?« Sie preßte die Knöchel ihrer Hand gegen den Mund und saugte
einen Augenblick lang daran. »Der hat mir vielleicht Angst eingejagt! Er war
genau wie einer dieser Briefe im Fernsehen, in denen Lösegeld gefordert wird.
Sie wissen schon — alle Worte aus Zeitungen und Zeitschriften ausgeschnitten
und dann auf ein Blatt Papier geklebt!«
    »Ja, ich weiß«, knurrte ich.
»Was stand darin?«
    »Alles über Angie und Loomis,
und es würde ihr schlecht ergehen, und alles sei seine, Clays Schuld, aber ihm
selbst würde es demnächst noch viel schlechter ergehen, darauf könne er sich
verlassen. Angie sei nur der Anfang!«
    »Das klingt nicht sehr
sinnvoll.«
    »Für Clay schien es aber sehr
sinnvoll zu sein.« Sie lutschte erneut an ihrem Knöchel. »Es hält ihn nachts
wach, und wenn er schließlich doch einschläft, hat er Alpträume.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Aber ich
glaube, jemand ist darauf aus, Clay zu erledigen, und er weiß das auch. Ich
kann nachts seine Angst fast riechen, Mr. Holman, und das ist nicht gut — nicht
für Clay.«
    »Kennen Sie jemand, der Grund hat,
ihn so sehr zu hassen, daß er ihm einen solchen Brief schickt?«
    »Ich nicht.« Auf ihrem Gesicht
tauchte ein schwaches Lächeln auf, das diesem jung-alten Gesicht nicht
sonderlich gut stand. »Clay hat sich noch nie einer seiner Ehefrauen
anvertraut, und ich glaube nicht, daß ich eine Ausnahme bilden werde. Wer es
auch ist, der Betreffende muß wirklich gut im Hassen sein, um Clay dazu zu
bringen, vor seinem eigenen Schatten zu erschrecken, wie er das jetzt tut.
Vielleicht weiß er, wer es ist oder kann es sich zumindest recht gut denken.«
    »Haben Sie ihn danach gefragt?«
    Sie schüttelte entschieden den
Kopf. »Das ganze Thema des Briefes ist tabu. Wir sprechen überhaupt nicht
darüber. Sie haben doch gesehen, wie er reagiert hat, als er dachte, ich wäre
im Begriff, die Sache Ihnen gegenüber zu erwähnen.«
    »Seit wie langer Zeit gehört es
zu seinen Gewohnheiten, um zehn Uhr morgens seinen ersten Drink zu nehmen?«
fragte ich.
    »Es war nicht sein erster.« Sie
lächelte mit bebenden Lippen. »Er fängt den Tag statt mit Orangensaft mit einem
Schluck Scotch an.«
     
     
     

ZWEITES KAPITEL
     
    I ch ließ meinen Wagen auf einem
Parkplatz stehen und ging die vier Häuserblöcke weit bis zu der Adresse, die
mir Clay Rawlings angegeben hatte. Es war eine dieser trübseligen Straßen, in
denen heller Sonnenschein jede schmutzige Einzelheit mit erbarmungsloser
Deutlichkeit enthüllt, angefangen von den Häuserfassaden mit dem abbröckelnden
Verputz bis zu dem Ausdruck der Verlassenheit der Bewohner, die ziellos die
Gehsteige entlangschlurften. Eine Unmenge Leute behaupten, die Innenstadt von
Los Angeles sei ein Mythos, aber das ist vorwiegend Wunschdenken.
    Ich stieg eine Holztreppe in
den vierten Stock bis zum Dachboden hoch, wo Harold Loomis und auch angeblich
Clays Tochter wohnten. Nachdem ich zweimal an die Tür geklopft hatte, bellte
eine Stimme von drinnen: »Kommen Sie nur rein — sofern Sie kein Geld wollen!«
    Der Dachboden hatte ein mit
Schmutz verkrustetes Oberlicht, aber selbst das konnte das Eindringen der
kalifornischen Sonne nicht verhindern. Es war ein langer, schmaler,
unregelmäßig geformter Raum, der meiner Ansicht nach einen Mathematiker an den
Rand des Wahnsinns gebracht hätte. Ein Blick auf den Burschen, der vor einer
Staffelei stand, legte die Vermutung nahe, daß dies vielleicht bereits geschehen
war. Er war jung —   ungefähr
fünfundzwanzig, schätzte ich —, und über seine Ohren hing ein phantastischer
Schopf strohblonden Haars herab, als ob es reif zur Ernte sei. Er trug eine
Brille mit dem dicksten Rand, den ich in meinem Leben gesehen hatte, und sie
vergrößerte seine blaßblauen Augen zu zwei Quallen,
die durch das dicke Schildpattgestell auf seiner Nase miteinander verbunden
waren.
    Das war der Künstler, seine
Leinwand auf der Staffelei, den Pinsel in der Hand, und da war auch das Modell,
zurückgelehnt auf einer Couch, die so gebrechlich aussah, als entstamme sie der
Entrümpelungsaktion eines längst vergessenen Freudenhauses. Das Modell selbst
war dunkelhaarig, meiner
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